Das Geheimnis der Haarnadel
danach suchte, wurde dadurch belohnt, daß ich einen weiteren dubiosen Punkt fand. Sehen Sie, hier, über die Oberseite, verläuft eine flache Kerbe.«
Ich bestätigte, daß es so war; Mr. Milium blickte nicht hin. Ich muß sagen, es schien mir nicht weiter von Bedeutung, Mr. M. erriet meine Gedanken.
»Warum auch nicht? fragen Sie, und das zu Recht. Ja«, gestand er ein, »es hätte mir nichts genutzt, hätte ich nicht unter dem Mikroskop gesehen, daß in der Kerbe etwas klebte. Wiederum nichts Spektakuläres. Doch wenn man erst einmal Verdacht geschöpft hat, muß alles Rechenschaft darüber ablegen, wer und was es ist, selbst wenn das, was es zu sagen hat, auf der Hand liegt. In der Kerbe klebte etwas; nicht unnatürlich bei einem antiken Gegenstand, der, wie wir ja nun wissen, niemals poliert werden durfte, aber doch unbeabsichtigt mit Putztuch oder Staubwedel in Berührung kommen konnte. Ich kratzte etwas von dem, was in der Kerbe saß, heraus und konnte es ohne große Mühe als gewöhnliches Harz erkennen – Baumharz. Ich schabte die ganze Kerbe aus und verwahrte meine kleine Probe sicher, für den Fall, daß sie sich noch als nützlich erweisen sollte. Doch als ich das getan hatte, stellte ich fest, daß ich eine weitere kleine Frage aufgeworfen hatte – wiederum keine Antwort, aber eine Aufgabe, die die Kerbe selbst mir stellte. Als sie ausgekratzt war, bemerkte ich, daß das Silber hier zwar ebenfalls dunkel geworden war, doch weit weniger dunkel als an der übrigen Oberfläche. Mit anderen Worten, die Kerbe machte nun den offensichtlichen Eindruck, als ob sie wesentlich jüngeren Ursprungs sei als die übrige Handwerksarbeit und die Ziselierung. In zwei Punkten war ich mir also sicher: die Kerbe und die Aluminiumriefen gehörten nicht zum ursprünglichen Stück und waren erst kürzlich angebracht worden. Warum sich jemand die Mühe machen sollte, ein bloßes Spielzeug so zu bearbeiten – das war nun wirklich ein Rätsel.
Doch meine Beschäftigung mit der Kerbe lieferte mir noch einen weiteren Hinweis. Ich bekam erste Aufschlüsse, nach was für einer Art von Mensch ich suchen mußte, und ich wußte nun, daß es jemand sein mußte, der über nicht unbeträchtliche antiquarische Kenntnisse verfügte.
So setzte ich denn meinen Zeugen von neuem dem durchdringenden Auge des Mikroskopes aus, und mit der feinsten Nadelspitze, die ich halten konnte, ritzte ich an einigen Stellen die Seiten der Kerbe an. Und da stand, bei der Vergrößerung, mit der ich arbeitete, das Urteil klar geschrieben.
Eine der geschäftigsten und auch lukrativsten Sparten der Detektivarbeit – denn es geht dabei um beträchtliche Summen – ist das Erstellen von Gutachten über antike Bronzen. Es ist ein großer Markt, weil so viele Kulturen ihre dauerhaftesten Kunstwerke aus diesem Metall schufen. >Ewiges Erz< – der Ausdruck selbst ist heute schon eine ehrwürdige Antiquität. Haltbarer als Eisen, weniger vom Einschmelzen bedroht als Gold. Die Preise sind oft sehr hoch, denn viele dieser Arbeiten sind ausgesprochene Meisterwerke. Und wo Geld im Spiel ist, gibt es auch Haie, denen die Leichtgläubigen zur Beute werden. Die Fälscher haben, das muß man zugeben, wahre Wunder vollbracht, und diejenigen, die die Fälschungen entlarven, waren ihrerseits nicht weniger erfindungsreich. Es ist eine weltweite Schlacht, die im Verborgenen ausgefochten wird, und beide Seiten machen sich alle wissenschaftlichen Erkenntnisse zunutze, an die sie gelangen können. Der große Triumph der Fälscher war ihre Entdeckung, wie sich jene Patina herstellen ließ, die den Sammlern so viel bedeutet und Jane ein solcher Dorn im Auge ist. Ich, als reiner Wissenschaftler, möchte nicht entscheiden, welche der beiden Auffassungen die richtige ist. De gustibus lautet für mich bei derlei Auseinandersetzungen stets die abschließende Formel.
Doch was meine Aufmerksamkeit erregte und zur potentiellen späteren Verwendung in meinem Gedächtnis gespeichert wurde, war der Gegenschlag der Museen, als ihre Schätze solchen Attacken ausgesetzt wurden, dieser unterschwelligen Überflutung ihres Marktes. Sie entdeckten, daß zwar selbst für das schärfste Auge ohne Hilfsmittel die Patina, die erst gestern chemisch produziert worden ist, nicht von der zu unterscheiden ist, die zwei oder drei Jahrtausende ungestörter Ruhe in der Erde braucht, um sich natürlich zu entwickeln, daß man jedoch nur (so klein, daß das unbewaffnete Auge es gar nicht bemerkt) die Feile
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