Das Geheimnis der Heiligen Stadt
hörte eine Schreibfeder auf Pergament kratzen.«
Geoffrey war erstaunt. Der Kanonikus tat so, als hätte er sich eben erst wieder an den Vorfall erinnert, und doch machte es den Eindruck, als ob die Begebenheit dem Mann lebhaft vor Augen stünde. Er musste den Männern sehr nahe gewesen sein, um die verschiedenfarbigen Augen des Benediktiners zu bemerken, und wenn er hatte hören können, wie einer der beiden etwas schrieb, dann musste er angestrengt gelauscht haben.
»Habt Ihr den Benediktiner seitdem noch einmal gesehen?«
»Ja. An dem Morgen, als Bruder Salvatori tot aufgefunden wurde, trieb er sich vor dem Gebäude herum â das war zwei Tage, nachdem er in Salvatoris Zimmer gewesen war. Als der Mord bekannt wurde, verschwand er. Seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen.«
»Weshalb habt Ihr das gegenüber den Leuten des Patriarchen nicht erwähnt?«
Der Kanonikus richtete sich kerzengerade auf. »Bruder Salvatori war ein guter Mensch. Und ich weià gewiss, dass es ihm ernst war mit seinen Absichten. Ich wollte nicht, dass sein Name von dem Vorfall besudelt wird.«
»Doch wie es sich anhört, haben Guido und dieser Mönch sich nur unterhalten und geschrieben«, wandte Geoffrey ein. »Offenbar waren sie nicht mit irgendwelchen Dingen beschäftigt, die irgendjemandes Ruf hätten beschmutzen können.«
Der Kanonikus schaute ihn mitleidig an, und Geoffrey fragte sich, wie der Mann wohl die Schlussfolgerung rechtfertigte, die er aus den vorhandenen Angaben zog. Menschen wie dem Kanonikus war er schon häufig begegnet, und er wusste, wenn sie erst einmal ein Urteil gefällt hatten, wurden sie niemals wankend, egal, welche Beweise für das Gegenteil man ihnen vorlegte.
»Erzählt mir, was an dem Morgen geschah, als Guidos â Bruder Salvatoris â Leichnam aufgefunden wurde.«
Der Kanonikus hob die Hände. »Ich wurde in die Zitadelle bestellt. Dort hatte man den Toten hingebracht, nachdem er aus dem Felsendom geholt worden war. Der Vogt wusste von Salvatoris Absicht, in den geistlichen Stand zu wechseln, und er wünschte, dass ich über seinem Leichnam betete.«
»Als Ihr den Toten in der Zitadelle gesehen habt, ist Euch daran irgendetwas aufgefallen?«
»Was meint Ihr? Bruder Salvatori hatte weder eine Geldbörse noch Schmuck. Diese Dinge hatte er hinter sich gelassen, um sein Leben Gott zu widmen«, entgegnete der Kanonikus salbungsvoll.
Geoffrey schaute von seinen eigenen kräftigen, sonnengebräunten Händen zu denen des Kanonikus, der sie hastig in den Ãrmeln seines Habits verschwinden lieÃ, als er den skeptischen Blick des Ritters bemerkte. Die Hände des Kanonikus waren fett, bleich und trugen Ringe mit protzigen Gemmen. Geoffrey fragte sich, wie der Kanonikus so unverschämt scheinheilig in seiner Frömmigkeit sein und doch erwarten konnte, dass man ihn ernst nahm. Geoffrey hatte tapfere Männer vor einer Schlacht wanken sehen. Vielleicht wurden Mönche wankend, wenn sie den Verlockungen des Heiligen Landes gegenüberstanden.
»Mich interessiert, ob die Waffe, mit der Guido von Rimini ermordet worden war, noch bei dem Toten lag.«
»Ach, die. Ja. Sie war dort. Ein groÃes Ding, wie eine Waffe der Sarazenen, mit einem juwelenbesetzten Griff. Ich habe sie mir genau angesehen, aber die Juwelen waren nicht echt. Es war nur gefärbtes Glas.«
»Was ist damit geschehen?«
»Der Dolch war des Mitnehmens nicht wert, also habe ich ihn bei Salvatoris Leichnam zurückgelassen.« Der Kanonikus hielt inne. »Wenn ich sage, sie war des Mitnehmens nicht wert, dann meine ich â¦Â«
»Ja. Danke. Ich weià genau, was Ihr meint«, sagte Geoffrey. Seine Abneigung gegen den Kanonikus wurde mit jedem Augenblick gröÃer. Er erkannte, dass er keine weiteren brauchbaren Hinweise von ihm erhalten würde, und ein wenig angeekelt verabschiedete er sich rasch und ging.
»Eine Sache gibt es da noch«, rief ihm der Kanonikus hinterher. Geoffrey hielt inne und schaute zurück. »Bruder Salvatori erhielt noch einen Brief, der am Tag seines Todes eintraf. Natürlich haben wir nicht das Siegel gebrochen und ihn gelesen â das wäre auch äuÃerst unhöflich gewesen. Ich habe das Schreiben selbst zur Zitadelle zurückgebracht, denn es trug das Siegel des Vogts.«
Geoffrey und die anderen trotteten müde die Gasse entlang auf die
Weitere Kostenlose Bücher