Das Geheimnis der Heiligen Stadt
Rücken steckte oder ob alles nur raffiniert arrangiert war, um es so aussehen zu lassen. Ich stellte fest, dass es tatsächlich so war, wie es den Anschein hatte, und daraufhin rannte ich nach drauÃen und rief um Hilfe.«
»Was geschah mit dem Dolch?«
Sie runzelte die Stirn. »Ich weià nicht mehr. Vielleicht lieà ich ihn im Schlafzimmer fallen. Nein! Ich habe ihn mitgenommen. Ich glaube, ich warf ihn irgendwann einfach fort.«
»Wo ist er nun?«
Sie blickte sich um, als könnte er plötzlich irgendwo auf der StraÃe auftauchen. »Ich habe keine Ahnung. Irgendwer muss ihn mitgenommen haben.«
»Warum?«
Sie sah ihn zweifelnd an. »Ich würde sagen, um ihn zu verkaufen. Vor einem Jahr haben diese Leute fast ihren ganzen Besitz an Plünderer verloren. Wer kann es ihnen verdenken, wenn sie den Dolch eingesteckt haben? Es war zudem noch ein schauderhaftes Ding, mit groÃen, hässlichen Edelsteinen besetzt. Wie er gut zu einem Normannen passen könnte«, fügte sie herausfordernd hinzu.
»Die Klinge war gebogen«, erklärte Geoffrey, »und normannische Klingen sind üblicherweise gerade. Ich würde Euch meinen Dolch ja zeigen, aber ich fürchte, Eure Nachbarn könnten diese Geste missverstehen und würden herausstürmen, um mich zu töten.«
Sie sah ihn überrascht an und lachte wieder. Geoffrey nahm sie zum ersten Mal genauer in Augenschein. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass sie eine anziehende Frau war. Sie hatte glattes schwarzes Haar, das ihr weich über den Rücken fiel, länger als der Schleier, den sie darüber trug. Ihre Augen waren hellbraun wie Honig. Wenn sie lachte und sich die Falten um Augen und Mund glätteten, wirkte sie sehr jung, obwohl Geoffrey annahm, dass sie Mitte zwanzig war.
»Sie würden Euch nichts mehr zu Leide tun«, sagte sie. »Der Mut, mit dem Ihr Eure Freunde geschützt habt, hat sie zutiefst beschämt. Sie werden Euch in Ruhe lassen.«
»Ich habe sie ausgeschickt, um Hilfe zu holen«, stellte er fest. »Versteht Ihr denn gar kein Französisch?«
»Genug, um zu erkennen, dass Ihr nicht ganz ehrlich wart«, sagte sie. »Doch Eure Freunde mussten erst einmal zur Zitadelle laufen und dann wieder mit Hilfe zurückkehren. Ihr müsst gewusst haben, dass Ihr nicht so lange am Leben bleiben würdet!«
Geoffrey hatte nichts dergleichen gewusst. Er hatte von Anfang an ein Zögern in der Menge wahrgenommen und war sich ziemlich sicher gewesen, dass er sie bis zu Rogers Rückkehr von einem Angriff abhalten konnte. Doch Melisende schien so sehr vom Gegenteil überzeugt zu sein, dass er sich fragte, ob er sein Verhandlungsgeschick nicht überschätzt hatte. Trotzdem, so dachte er bei sich, hätte er Roger und den anderen ein unschönes Schicksal erspart, hätte die Menge nicht plötzlich so unerwartete Skrupel gezeigt.
»Wie kommt es, dass Ihr Griechisch sprecht?«, wollte Melisende wissen. »Das ist eine Fähigkeit, die unter den Barbaren in der Zitadelle nicht oft zu finden ist.«
»Ich habe es in Konstantinopel gelernt«, sagte er und fragte sich, ob Roger inzwischen wohl die Zitadelle erreicht hatte. Wenn sie verschiedene Wege wählten, konnte er ihn möglicherweise verfehlen. Dann würde Roger die StraÃe angreifen lassen, und weitere Tote wären die Folge.
»Während Ihr es geplündert habt?«, fragte Melisende, und die Heiterkeit war wieder aus ihrem Gesicht gewichen.
»Nein. Plündern stört mich zu sehr beim Lernen der Verbformen«, erwiderte er. »Ich habe Konstantinopel besucht, lange bevor die Kreuzfahrer dort hinkamen. Und was führt Euch nach Jerusalem? Wie lange lebt Ihr schon hier?«
»Was hat das mit dem toten Ritter zu tun?«, fragte sie schroff. Einen Augenblick lang starrte sie ihn an. »Ihr mögt mutig sein und auch die Sprachen der Leute sprechen, die Ihr unterdrückt. Doch Ihr seid immer noch ein Normanne, und immer noch seid Ihr derjenige, der mich ohne Zögern in die Kerker des Patriarchen gebracht hat. Wäre nicht dieser arme Mönch getötet worden, während ich eingesperrt war, dann hätte man mich inzwischen vielleicht schon als Mörderin hingerichtet. Habt Ihr daran schon einmal gedacht? Ich war unschuldig! Und bitte verkauft mich nicht für dumm, indem Ihr behauptet, ich hätte in diesem Falle ja nichts zu befürchten gehabt. Ihr
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