Das Geheimnis der Herzen
sind krank«, sagte ich.
Sein Mund verzog sich zu einem fürchterlichen Grinsen, das mich an die Schädel im Museum erinnerte. »So viele Menschen kommen, um mir einen Besuch abzustatten. Man könnte fast meinen, ich sterbe.«
Das sollte vermutlich ein Scherz sein, ein augenzwinkernder Hinweis auf die Wahrheit, aber seine Worte trieben mir die Tränen in die Augen. Sir William hatte seine ganze Kraft eingebüßt. Er wollte sich räuspern und stieß ein Altmännerhusten aus. »Sie brauchen nicht zu schauspielern, Dr. White«, sagte er dann. »Ich verfolge diesen Fall seit Monaten und weiß, dass es keine Hoffnung gibt.«
Lady Kitty flatterte wie ein Vogel um ihn herum. »So darfst du nicht sprechen, William. Du wirst die arme Dr. White noch erschrecken.« Dann berichtete sie mir, was für ein furchtbarer Patient ihr Mann sei. Sie tat das in theatralischer Manier, um die Atmosphäre aufzulockern. »Andauernd widersetzt er sich den ärztlichen Anweisungen und mutet sich zu viel zu. Die Ärzte sind jedoch optimistisch, nicht wahr, mein Lieber? Dr. Doyle denkt, du bist auf dem Weg zur Besserung. Gestern erst hat er gesagt, bald bist du wieder munter wie ein Fisch im Wasser.«
»Munter genug, um über den Jordan zu schwimmen.«
»William«, ermahnte ihn Lady Kitty ernst. »Dr. White ist nicht gekommen, um sich so etwas anzuhören.«
Sir William schloss die Augen. Er seufzte. Der Wortwechsel hatte ihn vollständig erschöpft. »Dann sollte sie mich darüber aufklären«, keuchte er, »warum sie gekommen ist.«
Ich trat noch ein Stück näher und zeigte ihm den Skizzenblock. »Um Ihnen das hier zu bringen.«
Sir William nahm den Block. Er zeigte keinerlei Regung, bis er zu Jakob Hertzlichs Porträt von Revere in Uniform kam. Dann drehte er sich zur Seite. Kitty sprang von ihrem Stuhl auf und eilte zu ihm. Ich rührte mich nicht, sah jedoch, wie dieser Mann, der mir einst so viel bedeutet hatte, seinen einzigen Sohn betrauerte. Dabei hatte ich zwiespältige Gefühle. Ich liebte ihn mehr, als ich, abgesehen von meinem Vater, je einen Mann geliebt hatte. Er war die Verbindung zu meiner Kindheit, zu Honoré Bourret. Es bestand sogar eine physische Ähnlichkeit zwischen den beiden Männern, doch ebenso wie mein Vater hatte Sir William mich plötzlich und ohne Erklärung aus seinem Leben ausgeschlossen.
Als er sich wieder einigermaßen gefasst hatte, sprach ich weiter. »Es gibt noch etwas, das ich gern mit Ihnen besprechen würde, wenn ich darf.«
Lady Kitty trat vor, als wolle sie mich bremsen, doch ihr Mann hob die Hand.
»Unter vier Augen, wenn möglich«, fügte ich leise hinzu.
Seltsamerweise ließ die Spannung im Raum auf einmal nach, als hätten wir alle drei auf diesen Augenblick gewartet. Sir William deutete mit einer Handbewegung an, dass seine Frau das Zimmer verlassen möge, was sie widerspruchslos tat. Nun war mir klar, dass meine Briefe angekommen waren. Die Howletts hatten meinen Besuch erwartet und offensichtlich auch über mich gesprochen.
»Ich habe von Ihrer Reise erfahren«, sagte ich, »von der Reise mit Revere, in der Anfangszeit des Krieges.« Ich erwähnte Montreuil und Calais, um seinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen, denn er hatte den Blick abgewandt.
Schließlich schaute er mich an. »Ich dachte mir schon, dass es darum geht.« Er schwieg, damit wir beide uns sammeln konnten. »Jakob Hertzlich hat Ihnen davon erzählt?«
Als ich nickte, nickte er ebenfalls und kniff sich in den Nasenrücken. »Ich dachte, Sie sprechen nicht mehr miteinander.«
»Wir sind in Kontakt«, erwiderte ich kurz angebunden. Ich war nicht gekommen, um mit ihm meine Beziehung zu Jakob Hertzlich zu erörtern.
Sir William atmete jetzt ruhiger, und das Sprechen schien ihm etwas leichter zu fallen. »Ihr Vater und ich standen uns nahe, Agnes. Sehr nahe sogar. In meinen jungen Jahren habe ich diesen Mann verehrt.«
Das wusste ich bereits. Und um ehrlich zu sein, interessierte mich ihre gemeinsame Vergangenheit nicht mehr. »Was ich erfahren muss«, sagte ich, »ist der heutige Stand Ihrer Beziehung, Sir William. Sie haben mir gesagt, Sie wüssten nicht, wo er sich aufhält. Sie haben mir gesagt, er sei verschwunden.« Meine Stimme überschlug sich.
Sir William blickte zum Fenster. Als er sich wieder mir zuwandte, war sein Blick klar und gütig. »Es ist kompliziert, Agnes.« Er schwieg, suchte nach Worten. »Ich habe versucht, mich anständig zu verhalten, sowohl ihm als auch Ihnen gegenüber. Und ich würde
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