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Das Geheimnis der Herzen

Das Geheimnis der Herzen

Titel: Das Geheimnis der Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Holden Rothman
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die Verbindung zu blockieren. »Dann war mein Vater in jener Nacht nicht bei Ihnen in der Leichenhalle, als Sie das Herz entnommen haben? Dann waren doch Sie es, der die Obduktion gemacht hat?«
    Sir William senkte das Kinn auf die Brust.
    »Wo war mein Vater?«, fragte ich. Eine Welle der Panik überschwemmte mich.
    Sir William zuckte die Achseln. »Ihr Vater war ein guter Mensch, Agnes. Er war mein Lehrer, und er war mein Freund. Das genügte mir. Ich hatte enormen Respekt vor ihm, aber er war keineswegs allgemein beliebt. Er war Frankokanadier und Katholik, vergessen Sie das nicht, und zu einer ganzen Reihe von Themen hatte er sehr dezidierte Ansichten, die er auch ohne Scheu äußerte. Als die Mordanklage erhoben wurde, hatte er kaum Verbündete.«
    »Außer Ihnen.«
    Sir William Howlett nickte.
    »Ich verstehe«, sagte ich nach einer Weile. Sir William schien fest davon überzeugt, das Richtige getan zu haben, und ich wollte mich mit ihm darüber nicht streiten. Er hatte meinen Vater gerettet und selbst einiges riskiert. Er hatte Werte wie Loyalität und Freundschaft hochgehalten.
    »Ich brauche seine Adresse«, sagte ich. Meine Stimme klang jetzt wieder ganz normal.
    Sir William riss eine Ecke vom Skizzenblock seines Sohnes ab und kritzelte etwas darauf. So einfach war das. Als ich den Papierfetzen entgegennahm, streiften sich unsere Finger kurz, und wir wandten beide verlegen den Blick ab. Aber die Berührung gab mir zu denken. Ich fühlte diesmal nichts, im Gegensatz zu den anderen Malen, wenn wir uns körperlich näher gekommen waren. Kein Kribbeln, nicht einmal Wärme. Ich hatte innerlich einen so vollständigen Bruch vollzogen, dass ich mich fragte, welche Art von Verbindung es eigentlich je zwischen uns gegeben hatte.

28
    30. Dezember 1918
    I n strömendem Regen ging ich in Calais von Bord der Fähre. Die trostlose Stadt an der Nordwestküste Frankreichs war in vieler Hinsicht der passende Rückzugsort für einen Mann wie Honoré Bourret. Calais ist eine Hafenstadt und gilt als die englischste aller französischen Städte, umgeben von Stadtmauer, Gräben und Kanälen. Im Mittelalter stand Calais unter britischer Herrschaft. Die britische Armee eroberte die Stadt im 14. Jahrhundert, vertrieb die Franzosen und besiedelte Calais mit Engländern. Doch am Silvesterabend 1588 unternahm die französische Armee einen Überraschungsangriff und eroberte die Stadt zurück. Die Besatzer waren dabei, das kommende neue Jahr zu feiern, und konnten sie nicht verteidigen.
    Mein Vater lebte also in einem Ort, der Montreal ähnelte, und ich landete hier kurz vor dem Silvesterabend, um ihn im Sturm zu erobern. Das Datum hatte ich nicht absichtlich gewählt. Über die Geschichte von Calais hatte ich erst auf der Kanalfähre durch ein beiläufiges Gespräch mit dem Kapitän etwas erfahren.
    Mein Hotel lag in der Altstadt, in einer Seitenstraße der zentralen Place d’Armes. Die Luft roch nach Salz, und als ich aus dem Wagen stieg, ging ein Graupelschauer auf mich nieder. Vor mir erhob sich die Auberge des Flots, der Gasthof, in dem William Howlett mit meinem Vater diniert hatte. Von außen wirkte er so trist wie die anderen Gebäude, die diese Straße wie schiefe Zähne säumten, aber im Inneren war die Auberge überraschend warm.
    Eine hochschwangere Frau mit einem etwa zweijährigen Kind im Schlepptau hieß mich willkommen. »Entrez, entrez!« , rief sie, nahm mir den Schirm ab und zeigte dem Fah rer, wohin er mein Gepäck stellen sollte. »Heute ist kein schö ner Tag zum Reisen.«
    Sie und ihr kleiner Junge Charles begleiteten mich zur Empfangstheke, wo ihr Mann wartete. Nach der Anzahl der Schlüssel zu urteilen, die hinter ihm an der Wand hingen, war ich der einzige Übernachtungsgast, obwohl aus dem Restaurant nebenan lautes Gelächter tönte. Nach der anstrengenden Atlantiküberquerung und der Fahrt mit der Fähre gönnte ich mir ein Zimmer mit Blick auf den Hafen und mit einem eigenen Badezimmer. Der Mann trug meine Taschen nach oben und machte im Kamin ein Kohlenfeuer.
    Mein Zimmerchen wurde schnell warm. Die Einrichtung war schlicht, die frischen Farben boten einen angenehmen Gegensatz zum Wetter draußen, und meine Stimmung besserte sich bald. Als die Frau des Gastwirts mit einem Teller Suppe nach oben kam, erkundigte ich mich nach der Adresse, die Howlett mir aufgeschrieben hatte.
    Sie kniff im Gaslicht die Augen zusammen. »Rue de Verel«, sagte sie, » bien sûr je la connais . Sie liegt ein Stück entfernt

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