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Das Geheimnis der Herzen

Das Geheimnis der Herzen

Titel: Das Geheimnis der Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Holden Rothman
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mich um. Medizinstudenten machten sich über alles lustig, und wenn ein wenig elegantes altes Mädchen wie ich am helllichten Tag geküsst wurde, lieferte das bestimmt großartiges Futter für ihre Spottlust. Aber Howlett hatte etwas anderes im Sinn. Er überprüfte meine Fingerspitzen.
    »Gut verheilt.«
    Er hatte es nicht vergessen.
    »Es ist wunderbar, hier zu sein«, sagte er mit einer ausholenden Handbewegung. »Das Gebäude hat sich überhaupt nicht verändert. Nur dass Sie jetzt hier sind, um mich zu begrüßen – so wie es früher Ihr Vater getan hat.«
    Mehrere Sekunden lang brachte ich kein Wort über die Lippen. Er hatte es getan. Er hatte den Mut, es offen auszusprechen, es nicht zu verbergen. Ich schaute mich um, weil ich wissen wollte, ob irgendjemand ihn gehört hatte.
    »Ich … wir hatten Sie erst später erwartet«, sagte ich verlegen. Wie ungeschickt von mir! Gleich mein erster Satz klang so, als wäre er nicht willkommen. Er machte ein langes Gesicht. »Entschuldigen Sie«, sagte ich. »Sie haben mich überrumpelt. Es ist so eine wunderbare Überraschung nach all den Jahren, so eine Freude – ich kann es gar nicht in Worte fassen …« Vollkommen albern. Mein Magen verkrampfte sich, in meinem Kopf drehte sich alles. Ich musste mich an der Wand abstützen.
    Als wir zum Museum kamen, saß Jakob Hertzlich oben auf dem Eiskasten und kaute an einem alten Stück Brot. Er erhob sich nicht, als wir eintraten, ja, er hörte nicht einmal auf zu kauen. Am liebsten hätte ich ihm etwas an den Kopf geworfen. Er sah viel jünger aus als achtundzwanzig, mit seinem missmutigen, unrasierten Gesicht.
    »Das ist mein Assistent«, sagte ich und nannte seinen Namen.
    Jakob nickte kurz und schluckte. Erst als ich ihn bat, doch bitte Mastro, Rivers und Dekan Clarke zu holen, sprang er vom Eiskasten und ging zur Tür, nachdem er sich noch ein Stück Brot in den Mund gesteckt hatte.
    Howlett beobachtete ihn schweigend. Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, zog er die Augenbrauen hoch.
    »Noch etwas ungeschliffen.« Ich bedauerte meine Worte gleich, nachdem ich sie ausgesprochen hatte. Jakob Hertzlich hatte mir erzählt, in der orthodoxen Version seiner Religion musste man, wenn man über jemanden hinter seinem Rücken geredet hatte, später mit dieser Person sprechen und den Verstoß zugeben.
    Aber da irrte sich Jakob, oder? Er war oft unfreundlich zu den Leuten in der Fakultät. Auch zu mir. Was gute Manieren waren, wusste er nicht. Wie konnte er es wagen, sich gegenüber Sir William Howlett dermaßen aufzuführen?
    Mein distinguierter Gast legte seinen Mantel und seinen Gehstock auf einen Stuhl und begann, sich im Museum umzusehen. Er schaute in meine Glasschränke, die an allen Wänden des Raumes standen, vom Boden bis zur Decke. Dabei strich er sich immer wieder über den Schnurrbart.
    Dekan Clarke erschien als Erster. Er ergriff Howletts Hand mit beiden Händen und schüttelte sie herzlich. Dann trat Dr. Mastro ein und begrüßte Howlett mit einem feierlichen Handschlag. Er wirkte nervös. In der vergangenen Woche war er ein paarmal im Museum vorbeigekommen, um sich nach meinen Vorbereitungen zu erkundigen, als hätte er Angst, dass sie nicht genügten. Als Letzter erschien Dugald Rivers. Er murmelte betreten eine Entschuldigung. »Ich habe gedacht, wir würden uns erst um zehn treffen«, sagte er und warf mir einen finsteren, bedeutungsvollen Blick zu, als hätte ich das frühere Treffen absichtlich so eingerichtet, weil ich Howlett ganz für mich haben wollte. Aber Howletts freundliche Begrüßung verbesserte seine Laune augenblicklich.
    An diesem Vormittag waren wir also zu fünft – Dekan Clarke, Dr. Mastro, Dugald Rivers, Jakob Hertzlich und ich. Fünf Verehrer, oder besser gesagt, vier, denn Jakob Hertzlich gab deutlich zu verstehen, dass er rekrutiert worden war. Ich hatte ihn in den vergangenen Wochen auf diesen Besuch vorbereitet, hatte ihm verschiedene Anekdoten erzählt und ihm Artikel und Texte zu lesen gegeben, aber es war nicht zu übersehen, dass meine Bemühungen eine völlig andere Wirkung hatten, als wenn man mit diesem Menschen zusammengearbeitet oder bei ihm studiert hatte. Ich hatte versucht, ihm Howletts Einzigartigkeit zu vermitteln, aber meine Schilderungen waren auf taube Ohren gestoßen. Am Tag vorher war Jakob nach Dienstschluss noch geblieben und hatte mir geholfen, alles bereitzulegen: sechsundachtzig Präparate, nach Funktion geordnet, und an jedem Glas lehnte eine

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