Das Geheimnis der Highlands
weitreichenden Visionen hatte sie Hawk als jungem Burschen Ehrfurcht eingeflößt. »Nein. Hat sie noch mehr gesagt?«»Nur, daß du dies hier brauchen würdest.« Rushka reichte ihm einen Beutel, der mit Lederriemen verschnürt war. »Die Heilsalbe, wegen der du gekommen bist.« Er drehte sich zurück zur Prozession. »Ich muß gehen. Ich muß den Marsch zum Meer anführen. Nimm dich in acht und schütze dich gut, Freund. Ich hoffe, ich sehe dich und all deine Lieben beim Samhain.«
Hawk beobachtete schweigend, wie sich Rushka dem Trauermarsch für seine Tochter anschloß.
Wenn einer der Roma die Regeln verletzte, nach denen sie lebten, wurde er oder sie von der eigenen Sippe bestraft. Es war eine eng geknüpfte Gemeinschaft. Wild konnten sie sein und großzügig in vielen Belangen. Aber es gab Regeln, nach denen sie lebten, und diese Regeln wurden nie in Frage gestellt.
Esmeralda hatte eine Regel mißachtet, die von großer Wichtigkeit war – denjenigen, die den Roma Zuflucht gewährten, durfte auf keine Weise Leid zugefügt werden. Indem sie versucht hatte, Hawks Frau zu töten, hatte sie einen Anschlag auf den Herrn von Dalkeith selbst verübt. Aber da war noch mehr, der Hawk konnte es spüren. Etwas, womit Rushka nicht herausrückte. Esmeralda hatte noch etwas anderes getan, etwas, das ihre Leute in Aufruhr versetzt hatte.
Hawk beobachtete, wie die Prozession zum Meer zog, und flüsterte ein Roma-Gebet für die Tochter seines Freundes.
Hawk ließ sich wieder am Feuer nieder, entfernte seinen Verband und reinigte die Wunde mit Scotch und Wasser. Vorsichtig öffnete er den Ledergürtel und wunderte sich neugierig über das Sortiment von zugestöpselten Fläschchen, das zum Vorschein kam. Er nahm die Salbe, legte sie zur Seite und sortierte den Rest.
Was hatte die Seherin nur gesehen? fragte er sich mürrisch. Denn sie hatte ihm noch zwei weitere Mittel gegeben,wobei er sich geschworen hatte, eines davon nie wieder zu benutzen.
Hawk schnaubte. Eines war ein Aphrodisiakum, das er in jüngeren Jahren einmal versucht hatte. Dieses Mittel bereitete ihm keine allzu großen Sorgen. Was er verachtete, war der andere Trank, der bereitet worden war, um einen Mann in einen Zustand verlängerter, jedoch gleichgültiger sexueller Erregung zu versetzen.
Er drehte das Fläschchen mit der eklig-grünen Flüssigkeit hin und her und beobachtete, wie sich das Sonnenlicht auf dem Facetteschliff der verschlossenen Flasche spiegelte. Schatten tauchten auf und verhöhnten ihn unverhohlen, bis sein unbeugsamer Wille sie in die Hölle zurück verbannte. Schnell strich er die Salbe auf, die den Schmerz linderte und die Heilung beschleunigte. In zwei Wochen würde seine Hand wiederhergestellt sein.
Adam. Obwohl er es nicht ausdrücklich gesagt hatte, hatte Rushka ihm zu verstehen gegeben, daß es Adam war, der Esmeralda letzte Nacht zu ihnen gebracht hatte. Demnach hatte Adam gewußt, daß Esmeralda versucht hatte, Adrienne zu töten.
Was wußte Adam noch?
Und was hatte seinen Freund Rushka, der in den rund dreißig Jahren, die Hawk ihn kannte, nie eine Spur von Angst gezeigt hatte, dazu gebracht, auf einmal so offensichtliche Furcht an den Tag zu legen?
Zu viele Fragen und nicht genug Antworten. Jede davon zeigte anklagend auf den Schmied, der vermutlich just in diesem Moment versuchte, Hawks Frau zu verführen.
Meine Frau, die mich nicht will. Meine Frau, die Adam will. Meine Frau, die es nicht einmal für nötig befunden hat, sich nach meinem Befinden zu erkundigen, als ich verwundet war.
Esmeralda war tot, aber Rushka hatte ihm deutlich gemacht, daß die wirkliche Bedrohung noch da war. Und zwar nahe genug an Dalkeith, um die Roma zu vertreiben. Offensichtlich hatte Adam damit zu tun. Und er hatte seine Frau mittendrin zurückgelassen. Bleib nah und näher …
Hawks Verstand rotierte, als er die wenigen Fakten überdachte und hinter der Lösung für seine zahllosen Probleme herjagte. Plötzlich schien die Antwort unerträglich klar zu sein. Er schnaubte, außer Stande zu glauben, daß er nicht früher darauf gekommen war. Aber das Mädel hatte eine Art, ihm dermaßen unter die Haut zu gehen, daß sein Verstand in ihrer Nähe nicht mit der üblichen Logik arbeitete. Nicht länger! Es war Zeit, die Kontrolle zu übernehmen, anstatt den Umständen zu erlauben, weiterhin Amok zu laufen.
Sein Abkommen mit Adam beinhaltete, daß er Adrienne nicht verbieten durfte, den Schmied zu treffen. Aber er konnte es ihr verdammt
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