Das Geheimnis der Highlands
geblieben.
Lydia hatte schon seit langem den Gutsherrn Comyn in Verdacht, eine abartige Neigung zur Gewalt zu haben. Konnte sie glauben, daß er in einem sinnlosen Akt der Gewalt seine Tochter getötet hatte? Leicht. Er hatte seinen jüngsten Sohn wie ein Opferlamm zur Schlachtbank geführt, um Clans miteinander zu verknüpfen, und hatte ihn an eine der Großnichten des Bruce verkuppelt.
Bei all den krankhaften und widerwärtigen Gewalttätigkeiten des Red Comyn hatte Althea es geschafft, die Nachwirkungen zum Wohlergehen ihres Clans zu mildern. Sie war eine außergewöhnliche Frau, die ihre Kinder und Enkelkinder durch bloßen Willen und Entschlossenheit zusammenhielt.
Und daher war für Lydia der Gedanke, daß die pragmatische Lady Comyn einem Anflug von Hirngespinsten erlegen sei, weniger glaubhaft als die Möglichkeit einer Reise durch die Zeit. Einfach gesagt, Althea Comyn war viel zu sehr kühle Realistin, um irgendeinem Unsinn zu frönen.
Nachdem sie ihre Schlüsse gezogen hatte, lächelte Lydia sanft zu Adrienne, die schweigend und voller Spannung wartete. »Hawk erzählte mir, was Lady Comyn gesagt hat, Adrienne. Daß du nicht ihre Tochter bist. Daß du aus dem Nichts erschienen bist. Tatsächlich habe ich deinen Akzent aufwallen und abebben hören wie eine stürmische, unvorhersagbare Flut.«
Adrienne fühlte sich kurzzeitig etwas gekränkt. »Wirklich?«
Lydia lächelte. »Als du krank warst, verschwand dein Akzent völlig, mein Liebes.«Adrienne blinzelte. »Warum hat mich nie jemand darauf angesprochen?«
»Vielleicht ist es dir entgangen, aber es war hier nicht besonders ruhig, seit du nach Dalkeith gekommen bist. Nicht ein Tag ist vergangen, der nicht irgendwelche Überraschungen gebracht hätte. Mordversuche, unwillkommene Besucher, ganz zu schweigen von Hawk, der sich wie ein liebestoller Jüngling aufführt. Außerdem hoffte ich, du würdest dich mir eines Tages aus freien Stücken anvertrauen. Jetzt haben mir die Wachen erzählt, daß sie mit eigenen Augen gesehen haben, wie du mehrere Male verschwunden und wiederaufgetaucht bist.« Lydia rieb ihre Handflächen mit entrücktem Blick an dem Rock ihres Kleides. »Aus der Zukunft«, murmelte sie leise. »Mein Sohn glaubte, es handele sich um ein schreckliches Erlebnis, was dich dazu gebracht hat, solchen Wahnsinn zu glauben, und dennoch …«
»Und dennoch was?« drängte Adrienne.
Lydia blickte Adrienne tief in die klaren, offenen Augen. Sie sahen sich einen langen, forschenden Augenblick an.
Schließlich sagte Lydia: »Nein, nicht die Spur von Wahnsinn in diesem Blick.«
»Ich komme aus einer anderen Zeit, Lydia. Ich bin nicht verrückt.«
»Ich glaube dir, Adrienne«, sagte Lydia einfach.
»Wirklich?« Adrienne kreischte förmlich. »Wieso?«
»Ist das wirklich wichtig? Es sollte genügen zu sagen, daß ich dir glaube. Und wenn hier irgendwann einmal alles wieder normal ist, sollte es jemals dazu kommen, möchte ich, daß du mir davon erzählst. Von deiner Zeit. Ich habe viele Fragen, aber sie werden warten. Zur Zeit gibt es wichtigere Dinge, für die wir einen klaren Kopf behalten müssen.« Lydia runzelte nachdenklich die Stirn. »Wie bist du hierhergekommen, Adrienne?«»Ich weiß es nicht.« Adrienne zuckte hilflos mit den Schultern. »Wirklich, ich habe keine Ahnung.«
»Der Hawk glaubte, es wäre die schwarze Dame. Lady Comyn sagte, sie sei verhext.«
»Das dachte ich auch.«
»Die schwarze Dame war es also nicht … hmm. Adrienne, wir brauchen absolute Klarheit. Was genau hast du in dem Augenblick getan, als es geschah?«
»Beim ersten Mal, als ich auf Burg Comyn auftauchte, oder dieses Mal?«
»Dieses Mal«, sagte Lydia. »Obwohl wir das erste Mal ebenfalls untersuchen sollten, um Gemeinsamkeiten zu finden.«
»Nun … ich spazierte durch die Gärten und dachte an das zwanzigste Jahrhundert. Ich dachte daran, wie sehr –«
»Du dahin zurückwolltest«, beendete Lydia den Satz für sie, mit einer Spur von Bitterkeit.
Adrienne war ebenso überrascht wie gerührt. »Nein. Eigentlich dachte ich daran, wie schön es hier ist. In den neunziger Jahren, mein Gott, Lydia. Die Menschen waren praktisch außer Kontrolle! Kinder, die ihre Eltern töten. Eltern, die ihre Kinder töten. Kinder, die Kinder töten. Alle haben sie Mobiltelefone an den Ohren, und dennoch habe ich niemals eine solche Entfernung zwischen Menschen erlebt, die so krampfhaft versuchen, sich nahe zu sein. Und genau an dem Tag, an dem ich ging, hättest du
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