Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman
einen neuen Anfang.« Es begann wieder zu schneien, und Tedamöh klatschte in die Hände. »Nun aber los! Lass uns schauen, wie es dem alten Freerk Peters geht, bevor wir hier noch einschneien.«
Sie bogen in einen kleinen Sandweg ein, an dessen Ende das Haus des Fischers stand. Eine dicke Mütze aus Schnee zierte das Dach.
Der alte Seemann lag in seinem Wandbett und stöhnte vor Schmerzen. »Endlich! Ich dachte schon, ihr würdet mich sterben lassen.«
»Junges Leben auf die Welt zu bringen ist wichtiger, als sich um so einen alten Knochen wie dich zu kümmern. Außerdem stirbt man an so einer kleinen Sache nicht, das lass dir gesagt sein.«
Tedamöh trat zum Fußende der Bettstatt und entfernte den kalten Wickel um den Knöchel des Mannes. Sie pfiff zufrieden durch die Zähne. »Das sieht gut aus. Die Schwellung ist endlich zurückgegangen. Reemke, vielleicht kannst du schon was erfühlen.«
In Freerks Augen stand Ablehnung. Reemke sah ihm an, dass er ihre Hilfe gerne von sich gewiesen hätte. Wie die anderen
Insulaner hatte er Angst davor, was ihm geschehen könnte, wenn er sich in ihre Hände begab. Aber Tedamöh zu widersprechen traute sich kaum einer. Zu sehr waren die Wangerooger auf ihre Hilfe angewiesen.
Reemke schloss die Augen und tastete mit ihrer Hand vorsichtig am Knochen des alten Mannes entlang. Behutsam untersuchte sie das Gelenk mit den Fingerspitzen, um herauszufinden, was unter der Schwellung verborgen lag.
»Ah.« Ihre angespannten Züge lösten sich. Es war ganz offensichtlich. »Ich kann es richten.«
Tedamöh nickte ihr zu. »Dann leg los. Und du, Freerk, mach dich auf was gefasst.«
Der Fischer biss die Zähne zusammen, und Reemke wappnete sich innerlich. Sie umfasste den Fuß des alten Mannes mit beiden Händen und zog kräftig. Freerks schmerzerfüllter Aufschrei ließ ein flüchtiges Lächeln um ihre Lippen spielen. Sie hatte es geschafft.
»Und diese Hexe lacht auch noch«, knurrte Freerk, als der Schmerz etwas nachließ.
»Diese Hexe hat dich davor bewahrt, ein Krüppel zu bleiben«, stellte Tedamöh richtig. Sie schnaubte und bohrte dem Alten einen Finger in die Brust. »Ich lasse dir was zum Einreiben da, und du musst dich unbedingt noch schonen. Wenn etwas sein sollte, dann schicke jemanden nach mir.«
Sie begann in ihrem Korb zu kramen. »Ach verdammt!«, rief sie aus und schlug sich mit der Hand vor die Stirn. »Ich habe die Salbe zu Hause vergessen.«
»Ich kann sie holen«, erbot sich Reemke.
»Lass nur, ich geh.« Tedamöh hatte die Türklinke schon in der Hand. Sie bedachte die Freundin mit einem liebevollen Blick. »Schone dich und lass dir in der Zwischenzeit von diesem undankbaren Bruder den Lohn zahlen. Ich bin gleich wieder da, und dann können wir beide einen Tee zusammen
trinken. Dieser Griesgram wird uns schätzungsweise nicht einladen.«
Mit einem meckernden Lachen schloss sie die Tür hinter sich. Freerk ging mit keinem Wort auf ihre Anspielung ein.
Als er nach der Geldbörse unter seinem Kissen griff, ging die Tür auf und der Pastor trat ein. Er begrüßte den alten Fischer und sah dann missbilligend zu Reemke herüber.
»War Gottes Hilfe nicht genug?«, fragte er Freerk mit einem Kopfnicken in Reemkes Richtung.
»Ich arbeite mit Gottes Hilfe«, erwiderte diese und hob stolz den Kopf.
Der Pastor schenkte ihren Worten keinerlei Beachtung. Stattdessen betrachtete er mit zusammengekniffenen Augen ihren sich wölbenden Leib.
»Sieh an, du bekommst ein Kind«, schnarrte er. »Natürlich in Sünde gezeugt! Wer ist der Vater?«
Reemke zuckte unter seinen Worten zusammen. Verbissen schwieg sie und ignorierte die boshaften Blicke des Gottesmanns.
»Glaub ja nicht, dass ich das Balg taufe«, keifte er und trat näher an sie heran.
Reemke zog die Nase kraus. Der Pastor stank schlimmer als manch ein alter Mummelgreis.
Mit ruhiger Stimme erwiderte sie: »Ich würde mich auch dagegen wehren.«
Der Pastor sog scharf die Luft ein. »Du … du …« Er verschluckte sich fast an seinen Worten. »Du Hure. Ich könnte dich an den Haaren zum Meer schleifen und ertränken. Wie kannst du es wagen, mir in diesem Zustand unter die Augen zu kommen!«
Alle Farbe wich aus Reemkes Gesicht. »Sie sind ein schlechter Mensch. Ich verfluche den Tag, an dem Sie hierher auf die Insel kamen.« Sie spuckte vor ihm aus.
Der Pastor hob die Hand und schlug ihr mit Wucht ins Gesicht. Dann griff er nach Reemkes Arm. »Raus hier, sofort.«
Reemke versuchte, seine Hand
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