Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman
erhalten, denn die Menschen hatten nichts mehr, was sie geben konnten. Doch heute würde es anders sein.
»Wenn der Vogt uns nicht bezahlen kann, wer dann?«, frohlockte sie und rieb sich die Hände.
Es war keine einfache Geburt. Während Reemke den winzigen Säuglingskörper badete und in ein weiches Tuch wickelte, musste sie daran denken, dass sie selbst bald gebären würde. Hoffentlich würde zumindest Tedamöh ihr zur Seite stehen. Sie hatte sich bislang nicht überwinden können, ihr von der Schwangerschaft zu erzählen. Was, wenn die Freundin sie dann auch verdammte, so wie alle anderen. Mochte Gott geben, dass es so nicht kommen würde.
Vorsichtig brachte Reemke das kleine Bündel zu seiner Mutter.
»Es ist alles an der Kleinen dran«, sagte sie lächelnd und hielt das Kind so tief, dass Gesine es betrachten konnte.
Die Frau des Inselvogts griff nach dem Säugling. Sie riss Reemke das Neugeborene fast aus den Händen, so als wolle sie es vor deren bösem Blick bewahren.
Tedamöh schnalzte mit der Zunge und schüttelte missbilligend den Kopf. »Ohne Reemke hätte es schlecht ausgesehen. Und so dankst du es ihr.«
Gesine drehte den Kopf zur Wand. »Lukas wird sie bezahlen.«
Reemke sah, dass die Frau vor Angst zitterte. »Es ist schon gut«, sagte sie mit einem resignierten Seufzer. Niemals im Leben würde sich etwas an der Einstellung der Menschen zu ihr ändern. Sie musste mit dieser Bürde leben.
Es schneite leicht, als die Frauen das Haus des Vogtes verließen. Reemke zog den Schal enger um sich und blies warme Luft in ihre Hände. Tedamöh schritt in Gedanken versunken neben ihr her. Sie schien etwas auf dem Herzen zu haben. Dann, als habe sie sich erst einen Ruck geben müssen, stieß sie ihre Frage hervor. »Du wirst auch bald ein Kind haben, oder?«
Reemke zuckte zusammen und senkte verlegen den Blick. »Ja«, antwortete sie schließlich kaum hörbar.
Sie schwiegen beide.
»Wer …«
»Bitte frag mich nicht«, sagte Reemke schnell und biss sich auf die Lippen. Sie wollte nicht darüber sprechen, nicht einmal mit Tedamöh. In langen Nächten hatte sie diesem schwachen Mann vergeben, der ihrer Liebe nicht wert gewesen war. Sie war ihm dankbar für das Kind unter ihrem Herzen. Dieses Wesen würde sie mit jeder Faser ihres Herzens lieben können. Ihre Schwangerschaft ließ sich jetzt kaum noch verbergen, und es wunderte sie fast, dass Tedamöh sie nicht schon früher darauf angesprochen hatte. Die Leute redeten schon darüber. Sie erzählten von einem Meermann, denn wie sonst hätte sie, mit der sich niemand abgab, zu einem Kind kommen sollen? Reemke belächelte dieses abergläubische Geschwätz. Ihr war es egal, was die anderen dachten. Sie lebte nur noch für das Kind. Jeden Tag hielt sie Zwiesprache mit ihm. Nichts und niemand würde sich zwischen sie stellen können.
»Ich werde dir bei der Geburt helfen«, sagte Tedamöh in ihre Gedanken hinein. »Und auch sonst. Wenn etwas sein sollte, wenn du jemanden zum Zuhören brauchst …« Sie brachte den Satz nicht zu Ende.
»Danke.« Reemke griff nach der Hand der Hebamme. »Hab Dank für deine Freundschaft, die keine Antworten braucht.«
»Ich habe da so meine Vermutung.« Tedamöh zog die Stirn kraus. »Und vielleicht kann ich zumindest erreichen, dass dir kein weiteres Leid geschieht.«
»Mir wird schon nichts zustoßen.« Reemke zog die Ältere an sich. »Ich habe genug gelitten und denke, dass Gott jetzt ein Einsehen hat mit mir. Tedamöh, ich freue mich so sehr auf das Kind. Es ist ein Geschenk des Himmels!«
Lange hielten die Frauen sich umfangen, dann löste sich Reemke mit einem Seufzer von der Hebamme. Für eine kleine Weile standen sie schweigend da und betrachteten die weiße Landschaft.
»Ich habe die Insel noch nie so früh verschneit gesehen«, sagte Reemke. »Sieh nur, die Früchte leuchten wie Feuer in dem Weiß.« Sie wies auf einen Sanddornbusch. Dicht an dicht saßen die Beeren zwischen den dornigen Stielen. »Der Sanddorn weiß sich zu verteidigen, nicht wahr? Ich werde mir einen Zweig mit ins Haus nehmen. Er wird mir ein Stück vom Sommer zurückbringen. Obwohl ich nicht weiß, ob ich überhaupt an den Sommer erinnert werden möchte.« Sie seufzte leise.
»Kind, es kommt sowieso alles, wie es kommen muss. Es nützt nichts, zu fragen und zu zweifeln. Darum gräme dich nicht über das, was gewesen ist oder hätte sein können. Schau immer nur nach vorne. Man muss das Vergangene loslassen können, um frei zu sein für
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