Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman
abzuschütteln, doch der Pastor besaß mehr Kraft, als sie ihm zugetraut hätte. Er zerrte sie hinaus in die Kälte und zum Stall.
»Ich werde dich lehren, mich zu verfluchen.« Reemke spürte die kolossale Wut hinter den Worten des Mannes. »Schon einmal hat ein van Voss mich verflucht und mehr noch, mich sogar angegriffen. Siehst du das hier?« Er schob sich das lange strähnige Haar aus der Stirn und wies auf eine feuerrote Narbe. »Fast hätte dein Vater mich umgebracht. Gott in seiner Gnade hat ihn gestraft. Bei dir dagegen muss ich dies wohl selbst in die Hand nehmen.« Der Geistliche griff mit der freien Hand nach einem Stock, der an der Stallwand lehnte. In seinen Augen war ein irres Leuchten, das Reemke mehr erschreckte als der Prügel.
»Sie sind ja verrückt. Lassen Sie mich los, sofort!« Sie konnte die Angst nicht aus ihrer Stimme verbannen. Er durfte sie nicht schlagen! Was, wenn er nun das Kind träfe! Es gelang ihr, sich loszureißen. Sie duckte sich und hielt schützend die Arme um ihren Leib. Mit einem Satz war der Pastor bei ihr. Er stieß sie zu Boden und stellte sich breitbeinig über sie.
»Steh auf, du liederliches Frauenzimmer, oder ….«
Drohend schlug er mit dem Stock in seine freie Hand.
Reemke kam zitternd auf die Beine. Die eine Hand des Pastors war zum Schlag erhoben, die andere schob sich blitzschnell unter ihr Gewand und legte sich auf ihre Brust. Er kniff zu, und der Schmerz ließ Reemke aufschreien. In blinder Panik versuchte sie, sich ihm zu entwinden, schlug auf ihn ein, flehte ihn an aufzuhören. Sie roch seinen fauligen Atem ganz nah an ihrem Gesicht. Er keuchte schwer. Wie eine Klaue legten sich seine Finger jetzt um ihren Oberarm, während er sich mit der Hand, die immer noch den Stock hielt, an ihren Röcken
zu schaffen machte. Ein Geräusch ließ ihn abrupt innehalten.
»Was geht hier vor?«
Die Worte klangen wie Donnerschläge. Erschrocken wandte der Pastor sich zur Stalltür um, in der Tedamöh sich drohend aufgebaut hatte. In ihrer rechten Hand schwang sie einen Schürhaken.
»Dacht ich mir’s doch! Du Hundesohn tust dies nicht das erste Mal!« In blinder Wut stürmte sie auf ihn zu. »Glaubst du, ich kann zwei und zwei nicht zusammenzählen? Lass Reemke sofort los!«
Sie holte aus, und der Schürhaken sauste mit Schwung auf den Arm des Pastors hinab. Er schrie auf.
Reemke stand einen Moment wie erstarrt da, doch dann kam Leben in sie. Nein! Es durfte nicht geschehen, nicht noch einmal.
»Halt ein, bitte«, flehte sie die Hebamme an.
Mit einem abfälligen Laut trat diese von dem Pastor zurück, der sich langsam, Schritt für Schritt, zur Tür schob.
»Du hast Recht! Er ist es nicht wert, zum Mörder zu werden.«
Die Augen des Geistlichen sprühten Feuer. Sein Gesicht verzerrte sich in blindem Hass. »Das wirst du bereuen, du Pfuscherin. Ich werde gegen dich wettern, bis dein letztes Stündlein geschlagen hat. Was du auch tust, immer werden meine Augen es sehen. Und wenn es nicht im Sinne der Kirche ist, dann werde ich dafür sorgen, dass du der Teufelei angeklagt wirst. Alle deine Kräuter werde ich inspizieren. Ich habe die Macht …«
Tedamöh schnitt ihm das Wort ab: »Komm Kind, hier haben wir nichts mehr verloren.« Damit wandte sie dem geifernden Mann den Rücken zu, ergriff Reemkes Hand und zog sie hinaus ins neu einsetzende Schneegestöber.
Die Stimme des Pastors schrie hinter uns her, doch wir beachteten ihn nicht. Tedamöh schnaubte nur wütend. Sie fürchtet sich vor nichts und niemandem. Aber ich habe Angst! Es schlägt mir hier auf der Insel so viel Hass entgegen. Und nun habe ich auch noch Tedamöh mit hineingezogen. Vielleicht sollte ich doch fortgehen. Aber nicht jetzt. Erst wenn das Kind da ist. Gut, dass ich das Gold und den Schmuck habe. Damit können wir einen neuen Anfang wagen. Ich werde Tedamöh von dem Versteck erzählen. Sollte mir irgendetwas geschehen, so kann ich meinem Kind, wenn auch nicht meine Liebe, so doch zumindest finanzielle Sicherheit bieten.
Es war heiß, sogar hier im Schatten des Hauses. Und das, obwohl der Sommer schon in den Herbst übergegangen war. Möwen segelten am Himmel wie seit ewigen Zeiten. Jeels fühlte sich so losgelöst von der Erde wie die Vögel. Ihm war, als sei er in eine andere Zeit gereist, und er brauchte eine Weile, um wieder in der Gegenwart anzukommen.
Der Tee in seiner Tasse war längst kalt geworden und die Sonne stand schon hoch. Jeels’ Gedanken kehrten noch einmal zu seiner
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