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Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman

Titel: Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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doch der Wind war mit Anbruch des Tages noch heftiger geworden. Er jagte um das Haus, pfiff durch den Schornstein und brachte immer wieder die Scheiben zum Klirren.
    Wemke hatte kaum Schlaf gefunden. Manchmal war ihr vor lauter Erschöpfung der Kopf auf die Brust gesunken, aber sobald Freya sich bewegt oder einen Laut von sich gegeben hatte, war sie wieder hochgeschreckt. In der Nacht war das Fieber noch einmal gestiegen. Ständig hatte Wemke die Wickel erneuert und dem Kind das schweißnasse Gesicht abgewischt. Zwischendurch war Jeels herübergekommen, um nach der Kleinen zu schauen.
    Jetzt ordnete Wemke die Kissen so, dass Freya nicht aus dem Kojenbett fallen konnte. Mit den langen Wimpern und den blonden Locken sah die Kleine aus wie ein schlafender Engel. Nur das hochrote, erhitzte Gesicht wollte nicht so recht dazu passen. Freya wimmerte leise vor sich hin, und Wemke strich ihr mitleidig über den Arm.
    In dem Moment klopfte es leise an die Tür und Jeels trat ein, um nach seiner kleinen Patientin zu sehen. Als er die Hand von Freyas Stirn nahm, nickte er zufrieden. »Ich glaube, das Schlimmste ist nun überstanden. Das Fieber ist endlich gesunken. Es kann nur noch bergauf gehen!«
    Wemke spürte, wie ihr vor Erleichterung Tränen in die Augen schossen. »Ich hab schon nicht mehr daran geglaubt.« Sie
lehnte sich völlig erschöpft gegen den Sekretär. Einen winzigen Moment nur wollte sie ausruhen, ganz bei sich sein.
    Doch sie war nicht allein. Plötzlich wurde ihr Jeels’ Nähe überdeutlich bewusst. In den Stunden des Erzählens in der Küche wie auch in denen des Bangens in der Nacht war sie für seine Anwesenheit dankbar gewesen und hatte die Befangenheit ihm gegenüber verdrängt. Doch jetzt, in diesem Moment völliger Erschöpfung, gestand Wemke es sich ein: Diesem Mann, der ihr ohne Fragen zu stellen zur Seite gestanden und ihr nun die gewaltigste Last von allen, die Sorge um ihre Schwester, von den Schultern genommen hatte, diesem Mann gehörte ihr Herz. Sie liebte Jeels van Voss.
    Noch gab es keine Tat, für die sie jemand strafen oder verdammen konnte. Da war nur diese Liebe in ihrem Herzen, von der niemand wissen durfte. Sie ließ sich nicht steuern, nicht verhindern. Und doch musste sie versuchen, ihr nicht nachzugeben. Wemke spürte Jeels’ Hand an ihrem Ellenbogen.
    »Du bist völlig erschöpft. Du solltest dich ausruhen.«
    Mit geschlossenen Augen verharrte sie und genoss die Berührung seiner Finger auf ihrer Haut.
    »Es wird alles gut«, flüsterte Jeels. Wemke sog tief die Luft ein. Benommen lehnte sie den Kopf an seine Schulter. Ihr Körper erbebte vor krampfartigen Schluchzern, und Jeels hielt sie fest. Eine kleine Ewigkeit lang weinte sie so in seinen Armen. Dann beruhigte Wemke sich etwas. Sie löste sich von ihm, und Jeels wischte ihr mit der Hand die Tränen vom Gesicht.
    »Ist alles in Ordnung?«, fragte er leise.
    »Es war eine lange, dunkle Nacht«, erwiderte sie.
    Die Spannung im Raum war jetzt fast greifbar. Sanft strich Jeels Wemke eine feuchte Haarsträhne aus dem Gesicht und blickte sie ernst an. »Kann ich dir helfen?«
    Wemke schüttelte hastig den Kopf. »Es geht vorbei«, sagte sie und senkte den Blick…

    Bevor Jeels fragen konnte, was sie meinte, steckte Krischan den Kopf zur Tür herein. »Tedamöh meint, sie muss nun dringend nach Hause zu ihrem Federvieh. Vorher will sie aber noch Dina einen Krankenbesuch abstatten.«
    »Ich komme mit«, sagte Jeels sofort. Er blickte Wemke entschuldigend an, warf sich einen Mantel über und griff nach seinem Arztkoffer. Wemke wusste nicht, ob sie über das jähe Ende des vertrauten Moments traurig oder erleichtert sein sollte. Wahrscheinlich war es besser so gewesen, denn dass sie über ihre Gefühle nicht die geringste Kontrolle mehr zu besitzen schien, machte ihr Angst. Sie folgte Jeels und Krischan in die Küche, wo Tedamöh schon wartete. Auf ihrem Rücken trug die Hebamme eine Kiepe - ihre ganz eigene Art von Arztkoffer. Onno lehnte neben seiner Oma am Küchentisch und sah noch ziemlich verschlafen aus.
    »Ich begleite euch. Hab noch was im Dorf zu erledigen«, sagte Krischan. Sein Haar war ungekämmt und stand nach allen Richtungen ab. Er warf sich eine warme Jacke über das in der Eile falsch geknöpfte Hemd und setzte die Wollmütze auf. Dann setzten die vier dick vermummten Gestalten sich in Bewegung.
     
    Als sie vor die Tür traten, blies ihnen kalter Wind hart ins Gesicht. Mit gierigen Händen griff er nach Mänteln und

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