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Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman

Titel: Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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gehalten und Wemke den Kopf an seine Schulter gelegt hatte, war ihm die Frage, ob ihr Tun falsch sei, nicht in den Sinn gekommen. Denn wenn was sie empfanden falsch war, was um alles in der Welt konnte dann richtig sein?
    Ein Geräusch riss Jeels aus seinen Träumen. Jetzt erst wurde ihm wieder bewusst, wie stark der Wind zugenommen hatte. Als Krischan die Tür öffnete, riss ihm eine Böe die Klinke aus der Hand und fuhr ins Haus. Das Glas im Schrank klirrte und
die Balken über ihnen knarrten. Mit aller Kraft drückte Krischan die Tür zu und sperrte den Sturm wieder aus.
    »Tja, Jeels, der Stall ist einmal gewesen. Da werde ich mir im Frühjahr wohl was einfallen lassen müssen. Gut, dass Tedamöh die Tiere genommen hat.«
    »Um die Tiere mache ich mir weniger Sorgen. Hoffentlich beruhigt sich die See wieder, sonst fürchte ich um die Häuser in Nähe der Dünen.«
    »Wir hatten schon öfter so ein Wetter.« Krischan griff gelassen nach dem Teekessel. »Wenn es schlimmer wird, dann werden sie die Häuser abbrechen müssen. Baumaterial ist schwer zu kriegen. Aber vielleicht haben wir diesmal Glück. Der Herrgott wird es doch wohl nicht an Weihnachten auf uns abgesehen haben.«
    »Dein Wort in Sein Ohr«, sagte Jeels zweifelnd.
    Er hatte für seine Freunde kleine Geschenke mit dem Schiff vom Festland kommen lassen. Doch vor Tagen schon hatte Krischan ihn darüber informiert, dass auf Wangerooge am Weihnachtstag keine Gaben verteilt wurden und auch kein Festessen anstand. Über Jeels’ Verwunderung konnte er nur den Kopf schütteln.
    »Am 24. Dezember hat doch das Jesuskind Geburtstag. Da geht es doch nicht an, dass wir Erdenkinder ›Hier!‹ schreien. Dafür ist der Tag zu heilig. Zumindest finden wir Insulaner das.«
    Hier mischte Onno sich in das Gespräch ein. »Aber Jeels, am 2. Weihnachtsabend, da sind wir an der Reihe. Es gibt Geschenke, und du sollst mal sehen, was alles Leckeres aufgefahren wird. Die ganze Inselgemeinde ist auf den Beinen und kommt in der Kirche zum festlichen Schmausen zusammen.« Voller Vorfreude hatte der Junge sich die Hände gerieben.
    In diesem Jahr stürmte es so heftig, dass die Kinder allesamt ganz zappelig wurden und sich Sorgen um den Überbringer der Geschenke machten. Die Alten erzählten ihnen wie jedes
Jahr, dass der Heilige Christ den Stephanus mit Gaben auf die Erde schickte. Dieser käme auf einem weißen Pferd übers Watt und versteckte sich so lange im Turm, bis die Zeit der Bescherung gekommen war.
    »Na, heute würde selbst der Heilige Stephanus nicht gegen den Wind können«, meinte Krischan. »Und an seiner Stelle sitzt ja jetzt der Wiltert im Turm. Schönes Weihnachten dieses Jahr.«
    Um die Menschen zu beruhigen, hatte der Pastor beschlossen, nicht nur ein gemeinsames Festessen am zweiten Tag zu veranstalten, sondern schon am 24. Dezember vormittags einen Gottesdienst abzuhalten. Konnte es etwas Besseres geben, als einem Sturm mit gemeinsamen Gebeten und Gesängen zu trotzen?
    Natürlich wollten Krischan und Jeels auch dabei sein. Der bärtige Riese zwängte sich in seinen besten Zwirn und trieb Jeels zur Eile an.
    »Komm schon, wir müssen los! Ich war jahrelang nicht mehr an Weihnachten in der Kirche. Da will ich nun heute nicht ausgerechnet auch noch zu spät kommen.«
    Jeels konnte trotz des Wetters, das ihm die Sorgenfalten auf die Stirn trieb, ein Lächeln nicht unterdrücken. Wie hatte sein Freund sich verändert! Er sonnte sich in der Achtung und Anerkennung der anderen Insulaner und holte nach, was er jahrelang vermisst hatte. Sie baten ihn zum Besuch, und Krischan nahm eifrig alle Einladungen an. Gestern hatte Jeels bei einer Tasse Tee, zu der die Schwestern Hilde und Berta Brandt sie eingeladen hatten, sogar den Eindruck gehabt, dass sein Freund als Heiratskandidat ins Auge gefasst wurde. Dies war Krischan selbst allerdings nicht aufgefallen - und das war sicherlich gut so. Es hätte den Armen vielleicht erschreckt und ihm die Unbeschwertheit im Umgang mit den Schwestern genommen.
    Die beiden Freunde wählten den sicheren Weg durch die
Dünen. Je näher sie dem Dorf kamen, desto heftiger wurde das Tosen der See und immer lauter das Brüllen des Windes.
    »Teufelsspucke auf dem Wasser!« Krischans Stimme übertönte für einen Moment das Brausen. Er deutete auf die weißen Schaumkronen. »Zeigt an, dass schlimmes Wetter aufkommt.«
    »Noch schlimmer kann es doch wohl kaum werden.« Jeels schloss den Mantel höher und zog die Mütze tief in die Stirn.

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