Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman
Dass die Kleine ihn offenbar jetzt schon liebgewonnen hatte, sprach am meisten für ihn.
All diese Gedanken brachten sie dem Mann an ihrer Seite näher. Erleichterung wogte in Wemke auf. So gab es also doch noch eine Chance für sie, auf dieser Insel, wenn schon nicht das Glück, so doch Geborgenheit und Frieden zu finden.
Nun, da nicht mehr Freya ihre ganze Aufmerksamkeit galt, sah sie sich neugierig und aufgeregt um. Hier sollte also ein völlig neues Leben für sie beide beginnen! Weiß Gott, es könnte keinen schöneren Ort dafür geben. In der Luft lag der salzige Geruch des Meerwassers. Die untergehende Sonne vergoldete die Wellen. Der Leuchtturm erinnerte Wemke an einen schlanken stolzen Soldaten, der auf die Menschen der Insel achtgab.
Einige Dorfbewohner begegneten ihnen und hoben die Hände zum Gruß. Schon schien sich die Szene am Anleger herumgesprochen zu haben, denn Neugier blitzte in ihren Augen. Wemke jedoch nahm nicht so sehr die Menschen um sich herum wahr. Die Insel selbst faszinierte sie.
»Es ist herrlich hier«, entfuhr es ihr. »Niemand außer Gott könnte einen so wundervollen Ort schaffen.«
Dr. Hoffmann sah sie erstaunt an. Dann lächelte er zustimmend. Das Lächeln veränderte seine Züge. Es wischte all die Strenge und Verbissenheit fort. Verblüfft beobachtete Wemke die Verwandlung, und dann durchfuhr sie ein warmes Gefühl. Es würde alles gut werden!
12
W emke saß ganz still auf dem Stuhl, während Gerlind munter plaudernd um sie herumhuschte. Frau Bartling hatte das Dienstmädchen geschickt, damit es der Braut beim Einkleiden und Frisieren half. Zum letzten Mal hielt sich Wemke in dem Zimmer auf, das für eine kleine Weile ihr Zuhause gewesen war. Sie sah fast wehmütig um sich. Alles war hell und freundlich. Blumen standen in jeder Ecke, und aus der Ferne hörte sie das Rauschen des Meeres. »Mir wird das alles fehlen«, dachte Wemke, »doch vielleicht ist es in dem anderen Haus genauso schön.«
»Sie werden sich wohlfühlen beim Herrn Doktor«, sagte Gerlind, als ob sie Wemkes Gedanken gelesen hätte. »Er ist ein so guter Mensch und will immer nur das Beste. Und wenn ich sehe, wie er die Kleine vergöttert! Es ist nicht zu fassen. Wir haben immer alle geglaubt, er mache sich nichts aus Kindern. Ich denke wirklich, Sie haben das große Los gezogen!«
Gerlind, mit ihrer schlanken Gestalt und dem rabenschwarzen Haar, der Stupsnase und den Sommersprossen, war eine lebhafte kleine Person. Wie ein Schwälbchen umflatterte sie Wemke und schwatzte auf sie ein. Sie sprach, wie ihr der Schnabel gewachsen war, und übersah dabei leider manchmal die Gefühle der anderen.
»Sie haben doch sicherlich vor lauter Aufregung heute Nacht kein Auge zugetan«, mutmaßte sie jetzt und musterte Wemke aus neugierigen Augen. »Ich sage Ihnen, das wird ein Spießrutenlaufen
werden! Machen Sie sich nur ja nichts aus den abschätzigen Blicken. Das ist nur der Neid darauf, dass sie den Badearzt abbekommen. Nach dem Spektakel am Anleger haben sich natürlich alle das Maul zerrissen. Es hat sich in Windeseile herumgesprochen, dass sich die Frau Geheime erdreistet hat, dem Herrn Doktor eine Braut zu besorgen, und dass sie ihm mit Entlassung gedroht hat, wenn er nicht heiratet. Die Hofrätin hat ja schon so manches fertiggebracht, aber dies schlägt dem Fass wahrlich den Boden aus! ›Wie in drei Teufels Namen hat sie das nur wieder angestellt‹, hör ich die anderen um mich herum fragen.« Gerlind beugte sich zu Wemke hinab und flüsterte vertraulich: »Ich sag kein Wort! Dabei hätte ich das Geheimnis natürlich lüften können. Weiß ja, dass Sie sich auf die Anzeige hin gemeldet haben. Wenn ich noch an all die anderen Damen denke!« Sie schüttelte sich übertrieben. »Wie die herausgeputzt waren. Und das auf eine ganz billige Art. Wie Käufliche sahen sie aus, und einige waren wohl auch von der Sorte. Sie dagegen wirkten so frisch und natürlich. ›Gerlind‹, hab ich bei mir gedacht, ›diese wählt die Frau Geheime oder keine‹. Und nun sitzen Sie hier vor mir als Braut.« Sie seufzte zufrieden, als sei dies allein ihr Verdienst, und fing an, ein Liedchen zu summen.
Wemke hing derweil ihren eigenen Gedanken nach. Natürlich war ihr bewusst, dass heute das gesamte Inselvolk auf den Beinen sein würde. Einige, weil sie sich dem Badearzt verpflichtet fühlten, aber die meisten würden aus Neugier der Hochzeit beiwohnen. Die Frau Geheime hatte in der Gaststube einen Umtrunk ausrichten lassen.
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