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Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman

Titel: Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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vierten Stockwerk alles Übrige. Mit einer außen am Turm befindlichen Winde wurden die Sachen emporgezogen. Die Kirchenglocke befand sich hoch oben in einer Mauernische an der Ostseite des Turms. In Kürze würde diese Glocke die Gäste zum Gottesdienst einladen.
    »Haben Sie eigentlich kein Heimweh?«, drang Gerlinds Stimme in ihre Gedanken. Wemke hatte keinen Moment mehr an ihr altes Leben zurückgedacht und schüttelte nur den Kopf. Gerlind nickte zustimmend. »So ist es recht! Man darf nicht zurückschauen. Ich bin nun schon im dritten Jahr hier bei der Frau Geheimen auf Wangerooge, und mir ist Heimweh fremd. Es ist immer so viel Arbeit für mich da, dass ich gar keine Zeit habe, an meine Familie auf dem Festland zu denken. Alle sind stolz darauf, dass ich das Dienstmädchen der Frau Geheimen bin.« Sie richtete sich kerzengerade auf. »Die beiden Mädchen vor mir mussten jeweils nach einem Jahr gehen. Sie hatten sich einen Liebsten zugelegt. Aber ich bin klüger und lass mich nicht mit Männern ein. Außerdem gibt es hier sowieso nichts Gescheites! Der Bademeister ist schon unter der Haube, vom Gesinde ist mir keiner gut genug, und die Männer von der Insel bekommen wir kaum zu Gesicht. Sie haben alle über die Sommermonate auf Schiffen angeheuert. Mit wem also bitte schön sollte ich mich schon einlassen? Etwa mit dem Rothaarigen, der jetzt in der alten Kate der Meerhexe wohnt? Über ihn wird übrigens auch getratscht. Er hat sich wohl schon so einige Feinde gemacht hier auf der Insel. Und wie er mit der Frau Geheimen umgesprungen ist …« Sie schnalzte missbilligend
mit der Zunge. »Das wird ihm noch einmal leidtun. An ihr kommt keiner vorbei.«
    Wemke war bei der Erwähnung des rothaarigen Fremden zusammengezuckt. Gerlind bezog dies auf ihre Bürstenstriche und fuhr nun vorsichtiger durch die blonden Locken. In einer Schale lagen Inselblumen, die sie in das Haar flocht. Vorsichtig schob sie eine Locke, die sich befreit hatte, in das Kunstwerk zurück. Dann war die Frisur fertig, und das Dienstmädchen trat stolz einen Schritt zur Seite. »Ach, wie wunderschön«, rief sie begeistert und klatschte in die Hände.
    Wemke stand auf und betrachtete sich zögernd in dem großen Spiegel. Verwundert schaute sie auf die junge Frau, die ihr ganz fremd vorkam. Sie strich über das neue Leinenmieder und staunte wieder einmal über den leichten, weichen Stoff. Ihre Augen wanderten hinunter zu dem gefältelten Rock, der fast bis zum Boden reichte. Das Hochzeitskleid war aus dunklem Tuch, auf dem winzige helle Blüten verstreut waren. Für den Alltag war es zu edel, aber sie würde es zu den Gottesdiensten tragen können. Mit den Blumen im Haar schien es, als ob der Himmel ein Blütenmeer über ihr ausgeschüttet hätte. Wemke griff nach einem dunklen Jäckchen und zog es über. Beim Gehen raschelte der spitzenbesetzte weiße Unterrock und streifte streichelnd ihre Beine. Sie schlüpfte in die neuen Schuhe und drehte sich langsam vor dem Spiegel.
    »Keine Braut könnte schöner sein«, sagte Gerlind bewundernd.
    Wemke dachte an die Frau Geheime, die veranlasst hatte, dass dieses Kleid in aller Schnelle für sie gefertigt wurde. Man konnte der Frau Hofrätin viel nachsagen, aber geizig war sie nicht. Niemals zuvor hatte Wemke ein so teures Gewand besessen. Und sie fühlte sich wohl darin. Für einen Moment zögerte Wemke noch, dann straffte sie die Schultern und trat entschlossen vor die Tür.

    Konrad ergriff Wemkes Hand und gemeinsam stiegen sie die vierundzwanzig Stufen zum Eingang der Kirche hinauf. Wemke fühlte sich zittrig und ihr Herz raste.
    »Wenn die Glocke nicht läuten würde, könnte Konrad es sicherlich schlagen hören«, dachte sie und legte eine Hand auf ihre Brust. Für einen winzigen Moment verharrten sie an der geöffneten Tür. Die Bänke, die Logen, selbst die Stehplätze waren besetzt. Ganz vorne konnte Wemke Gerlind ausmachen, die Freya auf dem Schoß hielt. Wemke schloss die Augen und dachte an die Kleine. In dem neuen rosa Kleidchen sah das Kind aus wie ein Engel. Das waren Konrads Worte gewesen, als er Freya darin sah. Auch das Kleid seiner Braut schien ihm zu gefallen. Er hatte am Turm auf ihre Ankunft gewartet, und als sie aus der Kutsche stieg und auf ihn zuschritt, waren seine Augen vor Bewunderung ganz groß geworden. Wemke hätte sich darüber freuen sollen, doch plötzlich durchzuckte sie Verzweiflung, und Tränen stiegen in ihr auf. Jedes Mädchen träumte von seinem Hochzeitstag; davon,

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