Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman
Meer, auch diese kleine Larve. Den bösen Fluten und dem Satan haben sie sich verschrieben. Wer würde wohl sonst bei dieser eisigen Kälte die Nähe des Wassers suchen? Und wie schändlich dieses junge Blut es treibt! Bietet sich dem Bösen nackt an. Was für eine Sündtat!« Ein zischender Laut kam über seine Lippen. Mit fahrigen Händen machte er sich an seiner Hose zu schaffen.
Schluss! Es musste ein Ende damit haben. Es ging nicht an, dass die guten Christenmenschen hier auf der Insel solch einer Versuchung ausgesetzt waren. Diese rothaarige Hexe, kaum dem Kindesalter entwachsen, konnte einem schon jetzt das Blut in Wallung bringen. Er sah, dass die jungen Männer begannen, sie mit den Augen zu verschlingen, spürte selbst die Anziehungskraft, die Verderbtheit dieses Wesens. Glühte nicht in diesem Augenblick sein Körper vor Verlangen?
Der Mann schlug mit der zur Faust geballten Hand in den Sand. Das durfte nicht sein!
»Satan will durch sie alle ehrbaren jungen Männer und selbst mich in Versuchung führen. Aber solange ich hier auf der Insel etwas zu sagen habe, wird das Böse nicht die Oberhand gewinnen. Wehret den Anfängen. Diesem Mädchen muss Einhalt geboten werden!« Die gemurmelten Worte klangen wie eine Drohung.
Reemke zog ihre Kleider wieder an. Langsam kehrte die Wärme in ihren Körper zurück. Sie suchte nach dem Korb mit den gesammelten Steinen und Hölzern und sah, dass er leer war. Die Jungen hatten die Ausbeute des Morgens ins Meer geworfen. Reemke griff nach dem leeren Korb und hastete davon. Jetzt, wo das Meer sie nicht mehr schützte, kam die Furcht zurück. Fort, nur fort. Sie musste nachdenken. In ihrem Kopf begann ein Plan Gestalt anzunehmen.
Sie schritt durch die Dünen bis hin zum umzäunten Gärtchen
des Hauses. Um die Kate herum gelangte sie zum Stall und schob leise die Tür auf.
Die Kühe muhten ihr entgegen und aus dem Schweinestall kam Gegrunze. Reemke griff nach der Leiter und kletterte hoch zum Heuboden. Niemand würde sie hier oben vermuten. Sie stieß die Außenluke einen Spalt auf, um Licht in den Raum zu lassen.
Ganz in der Ecke, verborgen unter einem Haufen von Seilen und alten Lumpendecken, stand die Truhe. Mutters Kleider und Schuhe, die sie nicht mehr trug, lagen darinnen. Dazwischen Säckchen mit Blumenblättern und mild duftende Seifen. Reemke liebte all diese Dinge, so wie dieses Versteck im Heu. Sie schob die Taue zur Seite, breitete eine der Decken auf dem Boden aus und öffnete die Truhe. Dann wählte sie, wie schon so oft zuvor, eines der Kleider aus. Sie ließ sich auf der Decke nieder und hüllte sich in das Gewand. Tief atmete sie seinen Duft ein.
Nach kurzem Überlegen beugte sich das Mädchen noch einmal über die Truhe. Ein schneller Griff und sie hatte das lose Brett des doppelten Bodens angehoben. Vorsichtig nahm Reemke die kleine Schatulle heraus. Sie strich sanft über das Kästchen und ließ dann den Verschluss aufschnappen.
Auf rotem Samt lag ein Medaillon. Es war schon etwas angeschlagen und abgewetzt, aber immer noch wunderschön. Das goldene Schmuckstück hatte die Form einer Blume und war kunstvoll gearbeitet. Man konnte es öffnen, aber die winzigen Scharniere waren für das unwissende Auge nicht zu sehen. Reemke hatte nur durch Zufall das Geheimnis entdeckt. Sie drückte vorsichtig auf den großen Edelstein ganz am Rand, der die Blüte darstellte, und das Medaillon schnappte auf. Drinnen war eine winzige Zeichnung verborgen. Sie stellte einen Mann dar, der dem Betrachter entgegenlächelte. Er hatte lockiges Haar und fröhliche Augen.
Wie immer beruhigte es Reemke, das Bildnis zu betrachten. Sie kannte es schon seit Jahren. Dieser Mann war ihr Prinz, ihre Zuflucht, ihr Traumgebilde. Sie schloss das Medaillon und presste es fest ans Herz. Der süße Duft des Heus und des feinen Kleids umwehte sie und für einen Moment verloren alle Geschehnisse ihre Schrecken.
»Hast du mich gerufen?« Reemke trat ins Haus und sah die Mutter fragend an. Jeelke schaute von dem Butterfass vor sich auf und fuhr sich mit der Hand über das straff zurückgekämmte weizenfarbene Haar. Ihr sonst blasses Gesicht war von der anstrengenden Arbeit gerötet. Die grünen Augen betrachteten liebevoll die Tochter. Sie glättete mit einer energischen Bewegung die Schürze und zeigte auf den Brotteig, der geknetet werden wollte.
»Hier gibt es Arbeit für dich, mein Herz. Später können wir noch ein wenig Schreiben und Rechnen üben. Ich weiß ja, dass dir
Weitere Kostenlose Bücher