Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman
teilte die Tochter ungewollt dieses Schicksal mit ihr. Sie beide hatten keine Zukunft hier auf Wangerooge. Wenn sie doch nur fort könnten!
Jeelke betrachtete die Tochter und das Herz wurde ihr
schwer. »Wo bist du eigentlich gewesen? Ich habe dich schon vor einer Stunde vom Strand kommen sehen.«
Reemke nickte zum Stall. »Ich war oben auf dem Heuboden. Die Burschen aus dem Dorf haben mich geärgert, und da wollte ich eine Weile alleine sein.«
In den Augen der Mutter flackerte die Angst auf. »Was haben sie schon wieder von dir gewollt?«
Reemke schüttelte abwehrend den Kopf. »Lass nur. Es war das Übliche, du weißt es. Ich will nicht darüber sprechen.« Dann fügte sie mit Nachdruck hinzu: »Es wird nicht wieder vorkommen.«
Die Mutter zog eine Augenbraue hoch. »Wie willst du verhindern, dass sie dir auflauern? Selbst der Pastor wettert gegen uns. Dein Vater hat ihnen wer weiß was angedroht, deshalb meiden sie die Nähe des Hauses und vergreifen sich nicht an mir. Aber du bist vor ihnen nicht sicher.«
Reemke lachte bitter und imitierte die Stimme des Vaters. »Weh euch, wenn ihr Hand an mein Haus und mein Weib legt!« Sie schnaubte. »Mich hat er in seine Drohung nicht miteingeschlossen. Ich bin ja nur die Tochter, Freiwild für andere! Warum hasst Vater mich so?« Ein leiser Schluchzer stieg aus ihrer Kehle empor.
Die Mutter legte ihr den Arm um die Schultern. »Er hasst dich nicht. Du bist ihm einfach nur gleichgültig. Er bestraft dich dafür, dass du nicht der Sohn bist, den er sich gewünscht hat. Er hält mir bis heute vor, dass ich ihm nur ein Kind und noch dazu eine Tochter geboren habe. Und dann hast du auch noch das Aussehen geerbt, das in seinen Augen ausschließlich den männlichen van Voss zusteht.«
»Ihm ist es ganz egal, was sie mir antun. Vielleicht freut er sich sogar, wenn ich leide.« Reemkes Stimme zitterte.
»Ach Kind«, seufzte Jeelke. »Ich wünschte, ich könnte dir etwas anderes sagen. Aber ich glaube, Tede spürt nur Leben
in sich, wenn er andere leiden sieht. Tedamöh hat mir erzählt, dass seine Mutter schon im Kindbett gestorben ist und sein Vater ihn aufwachsen ließ wie ein Tier. Weißt du, wer nie Liebe gekannt hat, dessen Herz verkommt. In deinem Vater ist nur noch die Rachsucht zu Hause. Er gibt der ganzen Welt die Schuld an seinem Leben, das keines ist. Nicht, dass dadurch gerechtfertigt ist, was er uns jeden Tag antut.« Ihr Gesicht verzog sich voller Abscheu.
Reemke hob stolz den Kopf. »Es ist mir egal, warum er so geworden ist. Ich sehe nur, wie er uns behandelt. Hilfe kann ich von ihm nicht erwarten, und deshalb werde ich mir selbst helfen. Vater hält die anderen mit Drohungen und Zaubersprüchen auf Abstand. Ich bin auch eine van Voss, und die Leute fürchten mich. Kann ich es da nicht ebenso machen?«
Die Farbe war aus Jeelkes Gesicht gewichen. »Aber dein Vater, er kann wahrhaftig Dinge, die ihnen Angst machen und sie in Schach halten«, flüsterte sie.
Reemke beugte sich vor und sah die Mutter eindringlich an. »Was meinst du, wie viele Vögel wieder fliegen, nur weil ich ihre Flügel gerichtet habe. Und die Ziege im letzten Winter. Hast du geglaubt, es sei Vater gewesen, der ihr geholfen hat?«
Jeelkes Augen blickten die Tochter ungläubig und unendlich traurig zugleich an. »Das warst du?« Sie legte den Löffel aus der Hand und strich Reemke einige zerzauste Strähnen aus der Stirn. »Bei Gott, ich hatte so sehr gehofft, du hättest nur das rote Haar geerbt.«
»Ich bin froh, dass es nicht nur das Haar ist.« Reemke warf den Kopf zurück. »Vaters Hilfe brauche ich nicht. Ich werde alleine mit ihnen fertig.«
»Wenn du den Insulanern Angst machen willst, dann gelingt dir das nicht mit guten Taten. Sie wollen ja das Böse in dir sehen. Und ich kenne dich, mein Kind. Du wirst dich nicht überwinden können, Schlechtes zu tun.«
»Das ist wohl wahr«, gab Reemke zu. »Aber du bist die Einzige, die mich wirklich kennt. Wenn ich es klug anstelle, dann werden sie trotzdem an das Teuflische in mir glauben. Und das wird mein Schild sein. Das Fürchten will ich sie lehren.« Sie warf den Brotteig mit Wucht auf die Holzplatte des Tisches.
Eine Weile arbeiteten sie schweigend. Schließlich hielt Reemke inne. »Ich weiß zwar, dass du nie darüber sprechen willst. Aber die Kleider in der Truhe auf dem Boden …« Sie sah, wie ihre Mutter zusammenzuckte. »… die haben doch dir gehört. Wann hast du sie getragen?«
»In einer anderen Welt«, antwortete
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