Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman

Titel: Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
können.«
    Geschickt wickelte Tede den Verband ab und schnalzte mit der Zunge. »Sieht gut aus. Ist alles nur oberflächlich. Nur kleine Abschürfungen, das ist schnell wieder verheilt.«
    Er befingerte und betastete den verdrehten Arm, so dass Gerd zusammenzuckte und stöhnte.
    Tede funkelte ihn an. »Du kleiner Hosenscheißer! Mutprobe, dafür bist du Manns genug. Aber jetzt ist es vorbei mit dem Schneid, was?«
    »Wird es wehtun?«, fragte die Mutter ängstlich.
    »Natürlich.« Reemkes Vater lachte. »Kannst ja nach draußen gehen, wenn es dir zu viel ist.«
    Er griff mit beiden Händen nach dem verletzten Arm und machte eine ruckartige Bewegung. Ein lautes Knacken war zu hören. Der Junge schrie auf, aber der Arm sah wieder gerade aus.
    »Na also!« Reemkes Vater rieb sich die Hände. »Und jetzt schaff mir den Hosenscheißer aus den Augen. Ich mag keine Dummköpfe, die sich willentlich die Knochen zerspringen.«
    So schnell die Füße sie trugen, hasteten Mutter und Sohn zur Tür.
    »Halt!«, schrie der Vater. »Wo ist das versprochene Geld?«
    Henrietta schob ihm einen Beutel zu.
    Reemkes Vater lachte hinter ihnen her. Dann griff er nach der Flasche.

    »Ich will heute meine Ruhe haben«, schnauzte er die beiden Frauen an und verschwand.
     
    Den ganzen Tag sahen wir ihn nicht wieder. Doch in der Nacht vergriff er sich, betrunken wie er war, an meiner armen Mutter. Ich hasse ihn von ganzem Herzen! Wäre er doch nur tot! Einen Trost gibt es: Bald wird er wieder zur See fahren. Und dann werden wir für eine Weile befreit sein von seiner Anwesenheit. Für diese Tage leben wir, Mutter und ich.
     
    Langsam tauchte Jeels aus Reemkes Geschichte auf. Seine Hände zitterten. Was hatten seine Mutter und seine Großmutter nur erleiden müssen! Das Tagebuch hatte ihm bewusstgemacht, dass die Insel nicht für jeden gleichbedeutend mit Freiheit war und dieses Haus, das er so liebte, nicht nur für Geborgenheit stand. Er hatte die Angst seiner Mutter geradezu gespürt, ihre Schreie gehört und teilgehabt an dem Gefühl der Verlassenheit und Hilflosigkeit. Was für ein hartes Leben! Wie hatte sie es nur überstanden?
    »Vorbei«, wisperte es in ihm. »Das alles ist längst vorbei. Nichts kannst du mehr ändern. Nichts kannst du mehr tun, um ihr zu helfen.«
    Die Erkenntnis trieb ihm die Tränen in die Augen. Als er das Buch zuklappte, fragte er sich, wann aus dem verletzlichen Mädchen die stolze junge Frau geworden war, die Tedamöh beschrieben und die ihm das Leben geschenkt hatte. Reemke hatte es angekündigt und musste gelernt haben, sich zu wehren. Er ahnte es: Die noch folgenden, bislang ungelesenen Seiten bargen Antworten auf alle Fragen. Doch sie würden warten müssen. Mehr konnte er heute nicht ertragen. Sowohl sein Geist als auch sein Körper verlangten nach Ruhe.
    Jeels richtete sich auf und verzog das Gesicht. Sein Rücken schmerzte, seine Schultern waren steif. Er streckte sich und sah
durch das Fenster hinaus in die Dunkelheit. Die Nacht würde kurz werden. Jeels schüttelte das Kissen in seinem Alkoven auf und glitt zwischen die kühlen Laken. Er versuchte zu schlafen, doch das Gelesene wollte ihn nicht loslassen. So lag er lange wach, und seine Finger berührten das Buch, das er neben sein Kissen gelegt hatte. Als er endlich die Schwelle zum Schlaf überschritt, hörte er leise Musik, wie aus einem fernen Leben. Der feine Duft von Lavendel stieg ihm in die Nase, und fast glaubte er die streichelnden Hände seiner Mutter zu spüren. Diesmal glitten sie nicht über das Medaillon, sondern umfingen sein Gesicht.

17
    B is vor kurzem hatte es auf Wangerooge so viele oder so wenige Unglücksfälle gegeben wie auch an anderen Orten. Manchmal ging ein Stall in Flammen auf, wenn dessen Eigentümer mit der Lagerung des Heus für das Vieh nicht vorsichtig gewesen war. Es kam vor, dass bei Sturmfluten Brunnen durch Salzwasser verdarben oder Gemüsegärten durch Flugsand unbrauchbar wurden. Doch ernstlich in Not gerieten die Insulaner eher selten, und bislang hatte man den Unglücksfällen immer eine Ursache zuordnen können. Blitzschlag oder eine Unvorsichtigkeit mit den Lichtquellen, Sturmfluten und Überschwemmungen.
    Doch das war seit einigen Wochen anders. Es hatte bislang dreimal gebrannt - zu oft, als dass es Zufall hätte sein können. Ohne Grund waren zwei kleine unbewohnte Hütten in den Dünen in Flammen aufgegangen, und vor drei Tagen hatte es eine bewohnte Kate getroffen. Die alte Gesche, die dort ganz

Weitere Kostenlose Bücher