Das Geheimnis der italienischen Braut
unterhalten uns am besten hier an deinem Zufluchtsort“, erklärte sie.
Diese Woche ist die bizarrste meines Lebens, dachte Jackie, während ihre Schwester sie anlächelte.
„Ich kann nicht glauben, dass ich mich habe überreden lassen.“ Jackie schwang sich auf den Ast, der früher so etwas wie ihr Stammplatz gewesen war.
„Wir sind doch immer hierhergekommen, wenn wir etwas besprechen wollten, was mamma nicht wissen sollte“, erinnerte Scarlett sie. „Wirst du es ihr sagen?“
Jackie wusste, was ihre Schwester meinte. „Das muss ich wohl. Es kommt sowieso bald heraus. Zuerst sollte allerdings Romano es erfahren.“
„Es tut mir so leid, Jackie“, fuhr Scarlett mit aufrichtigem Bedauern fort. „Ich hätte es dir sofort erzählen müssen.“
„Ja, das stimmt.“
Scarlett seufzte. „Nachdem ich Monta Correnti verlassen hatte und ans andere Ende der Welt gezogen war, war es leichter, mir einzureden, es sei nur ein schrecklicher Albtraum gewesen. Ich dachte, ich könnte einfach so tun, als wäre nichts geschehen. Je mehr Zeit jedoch verstrich, desto klarer wurde mir, was ich angerichtet hatte. Ich hatte jedoch keinen Mut, es zuzugeben.“ Sie zuckte die Schultern. „In unserer Familie ist der Selbsterhaltungstrieb offenbar sehr ausgeprägt.“
Jackie kannte das Gefühl, wenn einen der Mut verließ, obwohl man unbedingt die Wahrheit sagen wollte. Sie hatte es ja vorhin selbst erlebt. Scarletts Entschuldigung klang glaubhaft, die Sache tat ihr wirklich leid. Sie hatte sich nicht nur um des lieben Friedens willen entschuldigt.
„Jetzt verstehe ich wenigstens, warum du mich all die Jahre gehasst hast.“ Jackie gestand sich ein, dass ihr so etwas auch schon passiert war. Sie hatte einen Fehler gemacht oder jemanden falsch beurteilt, und statt auf sich selbst zornig zu sein, richtete sich ihre Emotion gegen die betreffende Person. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass ihre Mutter genauso handelte. Es lag also in der Familie.
Sie wollte sich auch bei Scarlett entschuldigen, weil sie sie oft enttäuscht und damals durch kleinere Intrigen indirekt dazu beigetragen hatte, dass sie Monta Correnti verließ, um bei ihrem Vater zu leben. Doch so viel entwaffnende Ehrlichkeit wie ihre Schwester brachte sie nicht auf, die Worte blieben ihr förmlich im Hals stecken.
„Glaubst du wirklich, ich hätte dich gehasst?“ In Scarletts Augen schimmerte es feucht, sie war den Tränen nahe.
Jackie zog die Augenbrauen hoch. „Stimmt das etwa nicht?“
„Nein!“, rief Scarlett so laut und hitzig aus, dass sie selbst erschrak. „Nein“, wiederholte sie ruhiger.
„Aber …“
Jetzt ließ Scarlett den Tränen freien Lauf. „Ich bin nicht deinetwegen von zu Hause weggegangen, Jackie, sondern weil mich das, was ich angerichtet hatte, zu sehr bedrückte. Als du aus London zurückkamst, warst du so fürchterlich traurig, und das konnte ich nicht ertragen. Also habe ich die Flucht ergriffen und mir eingeredet, das alles sei nicht meine Schuld.“
Jackie hatte nicht erwartet, dass es noch schlimmer kommen konnte. Bei der ganzen Sache hatte sie nur an sich und das Unrecht gedacht, das man ihr angetan hatte. Sie hatte sich zu sehr auf ihre eigenen Verletzungen konzentriert und nicht gemerkt, dass auch andere litten.
Romano hatte eine Tochter, von deren Existenz er nichts ahnte. All die Jahre, die Kate ohne ihn aufgewachsen war, waren auch für ihn verlorene Jahre.
Und Scarlett hatte ihr schreckliches Geheimnis mit sich herumgetragen, das sie sehr belastet hatte.
Jackie umarmte ihre Schwester und schloss die Augen, damit diese nicht merkte, dass auch sie die Tränen kaum zurückhalten konnte. Lange Zeit saßen sie dann schweigend da.
„Ich war zu stolz und zu feige“, flüsterte Jackie schließlich. „Ich hätte selbst zu Romano gehen und mit ihm reden müssen, stattdessen habe den leichteren Weg gewählt und ihm geschrieben. Ich hätte dich nicht mit hineinziehen dürfen, Scarlett.“
Ihre Schwester löste sich von ihr und sah sie überrascht an. „Heißt das, du verzeihst mir?“
Jackie nickte. „Ja, wenn du mir auch verzeihst.“
Scarlett umarmte sie so stürmisch, dass sie das Gleichgewicht verloren und vom Baum fielen.
„Au“, sagte sie und musste plötzlich lachen.
Jackie stöhnte auf vor Schmerzen, ehe sie auch lachen musste.
„Nun, ihr beiden, was ist los?“, ertönte in dem Moment die Stimme ihrer Mutter.
Scarlett und Jackie hielten sekundenlang den Atem an und blickten sich vielsagend an, ehe
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