Das Geheimnis der Jadefigur (German Edition)
wissen, dass dieser Gegenstand mein persönlicher Besitz ist. Der Ort, an dem er sich befindet, ist nur meine Angelegenheit.«
»Ich hatte nicht vor, Sie zu beleidigen«, antwortete der Mandarin und schlug nicht einmal die Augen nieder.
Mit einer Verbeugung meldete sich nun wieder der Innenminister. »Majestät, Sie müssen kommen. Der Herr Generalgouverneur verlangt nach Ihnen.«
Wieder ergriff die Königin Phuong das Wort.
»Ich nehme an, Sie wollten sagen: ›Der französische Generalgouverneur lässt untertänigst fragen, ob ihm die Ehre einer Unterhaltung mit Seiner Majestät zuteilwerde.‹«
»Selbstverständlich«, säuselte der alte Mandarin und deutete mit höflicher Geste in Richtung der Tür. Der Kaiser gehorchte dieser Geste, die zwar respektvoll erschien, doch eigentlich ein Befehl war. Indessen vernahm Nina deutlich, wie er in genau dem Moment, als er an dem Minister vorbeiging, murmelte:
»Hölle und Verwesung!«
Monster aus Schlamm
Tam war so schnell wie möglich von der Schule nach Hause gekommen.
Kaum hatte sie die Villa Henriette erreicht, hatte sie ihre Bücher auf den Gartentisch geworfen, ihren Hut genommen und Nina gerufen.
»Also los, schnell! Sonst werden wir bei Einbruch der Dunkelheit zurückkehren müssen.«
Nina war schon fertig. Sie liefen bis zum Ufer des Flusses der Düfte. Dort winkte Tam einen Mann in einem Sampan heran.
»Ist es weit bis zu diesem Pavillon beim Lotusteich?«, fragte Nina.
»Zu Fuß brauchen wir etwa eine Stunde.«
»Eine Stunde?«, rief Nina aus. »Können wir denn keine Rikscha nehmen?«
»Der Weg ist schlecht. Die Räder kommen nicht durch.«
»Und über den Fluss?«
»Mit einem Boot können wir den Weg abkürzen.«
Nina zuckte mit den Schultern und stöhnte.
»So ein langer Weg bei dieser Hitze.«
»Ich denke, die Hitze wird uns nicht stören, der Regen aber schon«, sagte Tam und zeigte zum Himmel. Tatsächlich war die Farbe der Wolken alles andere als verheißungsvoll. Sie waren schwer, fast schwarz und wälzten sich über den Fluss wie ein Reiterzug von Dämonen, die sich auf der Wasseroberfläche spiegelten.
Tam und Nina stiegen in den Sampan, und schon glitt das Boot auf die Mitte des Flusses zu.
Es wurde von einem am Bug stehenden Ruderer gelenkt und näherte sich langsam dem gegenüberliegenden Ufer flussaufwärts von Hué. An ihrer Anlegestelle standen einige einfache Hütten aus Bambus, hinter denen Nina einen Pfad sah, der in den dahinter gelegenen Wald führte. Sie spürte plötzlich Gefahr. Seit ihrer Ankunft in Hué hatte sie nur die Sorge empfunden, entlarvt zu werden. Aber hier, zwischen dem Grau des Himmels und des Flusses, der wilden Natur ausgesetzt, hatte sie das Gefühl, feindliches Gebiet zu betreten. Instinktiv hakte sie sich bei ihrer Freundin ein. Zunächst war Tam überrascht, dann aber lächelte sie verständnisvoll.
»Hab keine Angst. Die Jahreszeit der Taifune ist vorbei, und Schlammlawinen gibt es nur alle zehn Jahre. Die letzte war vor fünf Jahren … Du siehst, keine Gefahr.«
»Ich habe keine Angst«, brummte Nina und stieß die junge Annamitin beleidigt weg.
Erst fünf Jahre waren seit der letzten Schlammlawine vergangen, doch die Natur war unberechenbar. Tam und Nina sollten es an diesem Tag feststellen.
Als sie den Fuß an das andere Ufer setzten, fielen die ersten Regentropfen. Nina band sich den Schleier fester um den Kopf, aber auch das konnte nicht verhindern, dass ihre Bluse und ihr Rock nach weniger als zehn Minuten vollkommen durchnässt waren. Sie bogen in den Weg ein, der sich vor ihnen in den Wald und bis zu einer Hügelkuppe erstreckte. Ziemlich schnell verwandelte sich die rote Erde des Wegs in einen dickflüssigen Schlamm, und Nina sah sich gezwungen, ihren Rock mit beiden Händen hochzuziehen. Tam hatte einfach ihre Sandalen ausgezogen und ging barfuß.
»Was für eine komische Idee, sich mit uns eine Stunde von Hué entfernt zu verabreden!«, jammerte Nina. »Hätte die Königin nicht zu uns kommen können?«
»Sie fürchtete, beobachtet zu werden. Man sagt, sie gehe jeden Tag zum Grab von Tu Dûc, ihrem Vorfahren, um dort zu beten. Dort befindet sich der Pavillon beim Lotusteich. Es heißt, es sei der einzige Ort, an dem sie ungestört ist.«
»Klar, dass die faltigen Männer gestern Abend von der Sorte waren, die einem immer an den Fersen klebt.«
»Faltige Männer?«
»Die alten Kerle mit den Korkenziehernägeln. Solche Fingernägel habe ich noch nie gesehen,
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