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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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solche!«
    Da war das weibliche Geschlecht wie weggeblasen. Masa zischte den Alten ärgerlich an: »Selber Sslitzauge!«
    Der spuckte nur aus und bekreuzigte sich, legte sich aber nicht mit ihm an.
    Die Gefahr war vorüber, man konnte zur Vorstellung zurückkehren.
     
    Das unterbrochene Konzert
     
    Kirilla saß noch in derselben Haltung da. Die allgemeine Aufmerksamkeit zog der Gottesnarr Lawrenti auf sich. Er schien in der örtlichen Hierarchie höherzustehen als die Märchenerzählerin, darum sprach er als Erster.
    Ein gruseliger Anblick. Der Gottesnarr stand keinen Moment still: Mal drehte er sich um die eigene Achse, mal lief er zu jemandem und beschnupperte ihn, mal stürzte er zu einer der Frauen, die sprang kreischend von ihm weg. Und murmelte, murmelte, immer lauter, immer schneller.
    Fandorin verstand anfangs fast nichts, dann unterschied er einzelne Wörter.
    Lawrenti schrie:
     
    Ich geh herum und zaubere!
    Gehe dahin, gehe dorthin,
    Such den Teufel, such den Teufel!
     
    Er ließ sich auf alle viere fallen, schnupperte am Rock einer der Frauen – die Ärmste prallte jäh zurück, so dass die hinter ihr Stehenden sie auffangen mussten.
     
    Ich spür den Satan, spür den Bösen!
    Kann ihn riechen, riech den Schiechen!
    Satan kommt, tief ist sein Quersack,
    Darein will er Seelen raffen!
    Fürchtet, fürchtet, fürchtet euch!
     
    Das musste er den Leuten nicht sagen, sie fürchteten sich schon. Selbst die Männer standen blass und finster da, die Weiber jammerten, die Kinder heulten aus vollem Halse.
    Die Zaubersprüche des Gottesnarren wurden immer unartikulierter, von seiner Stirn troff der Schweiß. Endlich blieb er stehen, hob das eiserne Kreuz hoch und schrie: »Hüte dich, Satan! Ich finde dich, verbrenne dich mit Gottes Feuer! Du machst uns keine Angst! Die Welt geht unter, Christus trägt die Krone, und du, Gehörnter, kriegst Blei in den Hals!«
    Er verstummte. Jemand brachte ihm Kwass; hastig atmend, trank er gierig.
    Der Arzt wandte sich deutlich hörbar an Jewpatjew: »Effektvoll. Der Mann ist ohne Zweifel psychisch krank. Ich tippe auf hysteroide Paranoia, vielleicht epileptoiden Ursprungs. Doch welche Intensität, welche Wirkung auf die Menge! Selbst ich habe die von ihm ausgehenden nervlichen Wellen wahrgenommen. Gern würde ich mit diesem Exemplar arbeiten. Eine Wechseldusche. Vielleicht eine kleine Hypnoseseance …«
    Jewpatjew entfernte sich indigniert, das Gerede des Psychiaters war ihm unangenehm.
    Sein Gesicht zeigte Erregung.
    Die Dörfler aber wandten sich Kirilla zu.
    »Sing, Mütterchen, tröste uns! Lawrenti hat uns erschreckt.«
    »Was soll ich singen?«, fragte die Pilgerin ruhig, das Gesicht mit den verbundenen Augen zur Decke gerichtet. »Vom Zarewitsch Ioassaf? Von Alexej dem Gottesmann?«
    Stimmen ertönten: »›Lob der Wüste‹!«
    »Nein, ›Der Sarg aus Kiefernholz‹!«
    »Halt, lasst den Starschina entscheiden!«
    Der Starschina sagte: »Singe etwas Neues, was wir von dir noch nicht kennen. Vielleicht übernehmen wir’s dann und haben den Nutzen davon.«
    Sie verneigte sich und stimmte sogleich, ohne Einleitung, ein Lied an, mit starker und reiner Stimme, die sich mal mit voller Kraft entfaltete, mal fast nur flüsterte. Ihre schmale Hand war an das schwarze Gewand mit dem gestickten achtendigen Kreuz gepresst, die Finger bebten leicht.
     
    »Dort am Fenster spinnt ein schönes Mädchen.
    Spinnt ein schönes Garn und denkt Gedanken.
    Früh am Morgen, als sie Wasser holte,
    Kam’n zwei Tauben zu ihr hingeflogen.
    Die graue setzt’ sich links auf ihre Schulter,
    Rechts setzt’ sich die schwarze.
    Alsdann sprach zu ihr die graue Taube:
    ›Abends, wenn die Sterne hell erstrahlen,
    Komm zum frohen Fest am Rand des Dorfes,
    Wo die Burschen mit den Mädchen spielen,
    So wie Erpel mit den Enten turteln.
    Geh zum Vogelbeerbaum, etwas abseits,
    Denn dein Bräutigam wird zu dir kommen,
    Seine Augen, kalt wie Eisesstückchen,
    Werden so, wie in der hellen Sonne
    Eisesstückchen schmelzen, sich erwärmen,
    Sehen sie dich an, du schönes Mädchen …‹«
     
    Es folgte eine lange Liste der Vergnügungen, welche die graue Taube den Verliebten in Aussicht stellte – keusch und hochpoetisch. Das Auditorium, namentlich die weibliche Hälfte, lauschte mit verschleierten Augen. Nur der Gottesnarr, der die Schöpfkelle hingelegt hatte, zuckte und blies die Nasenlöcher räuberisch auf. In seinen vorquellenden Augen glitzerten irrwitzige Funken. Fandorin lachte auf, denn dem

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