Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen
–vergebens, niemand wollte sich Karakins Zorn zuziehen. Da reiste der Ärmste zurück nach Paris. Der Fürst aber ließ sich nicht besänftigen. Er war von dem Gedanken besessen, dass der Unhold seine allerliebste Polinka umgebracht und in der Erde verscharrt hatte. Der ganze Park wurde umgegraben, der Teich abgelassen, so dass die kostbaren Karpfen verendeten. Umsonst.
Einen Monat später traf den Fürsten endlich der Schlag. Er saß am Mittagstisch, tat plötzlich einen Schnaufer und fiel mit der Stirn in den Suppenteller. Kein Wunder nach allem, was er durchgemacht hatte.
Nicht, dass Anjuta seit jener verhängnisvollen Nacht nicht mehr ganz richtig im Kopf gewesen wäre, aber sie hatte sich in ihrem Wesen doch stark verändert. War sie schon früher kein Ausbund an Fröhlichkeit gewesen, so bekam sie jetzt gar nicht mehr den Mund auf. Beim kleinsten Geräusch fuhr sie zusammen. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich kein Freund von Tragödien bin. Ich floh aus Sosnowka noch zu Lebzeiten des Fürsten. Später fuhr ich zur Beisetzung hin – heiliger Himmel, das Gut war nicht wiederzuerkennen. Gruslig sah es dort aus, gerade so, als hätte ein schwarzer Rabe seine Flügel darüber gebreitet. Ich weiß noch, dass ich bei dem Anblick dachte: Ein verlorener Ort. So war es auch.
Anjuta, die einzige Erbin, mochte nicht länger dort leben und reiste ab. Aber nicht in die Hauptstadt oder nach Europa, sondern ans Ende der Welt. Der Verwalter schickt ihr regelmäßig Geld nach Brasilien, in die Stadt Rio de Janeiro. Ich habe den Globus zu Rate gezogen – weiter weg von Sosnowka geht es nicht. So sehr ist ihr die Heimat verleidet. Man denke nur – Brasilien! Dort gibt es bestimmt keinen einzigen Russen«, beendete Mustafin seufzend seine ungewöhnliche Geschichte.
»Nicht doch. Ich habe in Brasilien einen Bekannten, einen ehemaligen K-Kollegen von der japanischen Botschaft – Karl IwanowitschWeber«, ließ Fandorin, der dieser unterhaltsamen Geschichte interessiert gelauscht hatte, nachdenklich fallen. Er hatte eine weiche, angenehme Art zu sprechen, und das leichte Stottern störte überhaupt nicht. »Weber ist derzeit Botschafter beim b-brasilianischen Kaiser Don Pedro. So aus der Welt ist Rio nicht.«
»Wirklich?« Mustafin wandte sich lebhaft Fandorin zu. »Dann kann das Rätsel vielleicht doch noch gelöst werden? Ach, verehrtester Erast Petrowitsch, man sagt Ihnen einen brillanten analytischen Verstand nach, der Sie befähigt, jedes Geheimnis zu knacken wie eine Nuß. Da haben Sie eine Aufgabe, für die es keine logische Lösung gibt. Einerseits ist Polinka Karakina verschwunden – das ist eine Tatsache; andererseits kann sie das Grundstück nicht verlassen haben – das ist auch eine Tatsache.«
»Ja, ja«, fielen einige Damen sogleich ein. »Herr Fandorin, Erast Petrowitsch, wir möchten zu gern wissen, was dort wirklich geschehen ist.«
»Ich wette, dass Erast Petrowitsch dieses Rätsel mühelos löst«, verkündete Frau Odinzowa.
»Sie wetten?«, vergewisserte sich Mustafin rasch. »Was setzen Sie?«
Es sei gesagt, dass sowohl die Hausherrin als auch Mustafin in ihrer Wettleidenschaft mitunter alle Vernunft fahren ließen. Die Gewitzteren unter den Gästen tauschten Blicke, denn sie argwöhnten, die rätselhafte Geschichte sei keineswegs zufällig zur Sprache gekommen und der junge Beamte solle das Opfer eines raffiniert geschmiedeten Komplotts werden.
»Mir gefällt Ihr kleiner Boucher«, sagte Mustafin mit einer leichten Verbeugung.
»Und mir Ihr großer Caravaggio«, antwortete im gleichen Ton die Gastgeberin.
Mustafin wiegte den Kopf, anscheinend entzückt vom unmäßigen Appetit der Dame, widersprach aber nicht – er glaubte wohlfest an seinen Sieg. Doch vielleicht hatten die beiden ihre Wette auch schon vorher abgeschlossen.
Fandorin, von solcher Zielstrebigkeit etwas verblüfft, breitete die Arme aus. »Aber ich war nicht am Ort des G-Geschehens, kenne die Beteiligten nicht. Soviel ich verstanden habe, konnte nicht einmal die Polizei, die über alle notwendigen Mittel verfügte, etwas ausrichten. Was kann ich da jetzt noch tun? Wahrscheinlich ist inzwischen viel Zeit vergangen.«
»Im Oktober waren es acht Jahre«, lautete die Antwort.
»Na sehen Sie …«
»Erast Petrowitsch, Lieber, Guter«, beschwor ihn die Gastgeberin und legte ihre Hand auf die seine. »Lassen Sie mich nicht im Stich! Ich habe diesem Erpresser schon mein Wort gegeben! Er wird mir einfach meinen Boucher
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