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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Industriellen ist es sehr günstig, Altgläubiger zu sein.« Jewpatjew zwinkerte fröhlich. »Jeder Partner weiß, dass ein Altgläubiger eisern Wort hält, was auch für die Kreditwürdigkeit wichtig ist. Außerdem: Die Arbeiter und Angestellten trinken nicht und stehlen nicht. Ich bin sowieso überzeugt, dass es für ganz Russland das Beste wäre, sich zu uns zu bekehren.«
    Jewpatjew lächelte nicht mehr, er sprach ernst, und es war ihm anzusehen, dass seine Meinung durchdacht und durchlitten war.
    »Peter der Erste, dieser fallsüchtige Satan, hat aus uns ein Beinahe-Europa gemacht. Bei den Männern ist der Bart ab, der Bauch steckt in der Weste, aber isoliert sind wir immer noch. Nur trinken und Tabak rauchen haben wir gelernt. Dabei sollten wir auf unsere Art leben, wie Natur, Glaube und Tradition es uns vorschreiben. Es hat keinen Zweck, wenn wir uns wie ein dressierter Bär benehmen.«
    »Das heißt, den Antichristen fürchten und sich lebendig in der E-Erde begraben?«
    Jewpatjew stöhnte.
    »Das ist es! Das hatte ich befürchtet! So werden jetzt alle reden! Ein paar rückständige Wilde bringen unsere althergebrachte Tradition in Verruf. Der alte Glaube wird mit fanatischem Sektierertum verwechselt! Wissen Sie, was mir gerade eben in den Sinn kommt?«
    Jewpatjew beugte sich zu Fandorin, von seiner Stirn fiel eine goldblonde Strähne. Seine Haare reichten bis unter die Ohren, waren scheinbar nach Altgläubigenart geschnitten, aber diese Fasson deckte sich fast genau mit der derzeitigen Pariser Mode, besonders in Verbindung mit dem Spitzbart à la Henri Quatre.
    »Vielleicht ist das sogar gut so?« Jewpatjews Augen glühten, der Gedanke schien ihm wirklich eben erst gekommen zu sein. »Der größte Feind des alten russischen Glaubens ist nicht die offizielle Kirche – was die wert ist, weiß die Gesellschaft. Unser Unglück sind die Fanatiker, die keine Geistlichen und keine Organisationgelten lassen. Was ist also mein Gedanke? Glück gab es nicht, also hat das Unglück geholfen. Das ganze altgläubige Russland soll erfahren, wie weit die Fanatiker die Menschen gebracht haben. Viele haben Angst, viele wenden sich ab von dem Leben ohne Priester! Das wird unsere Religion nur stärken. Wir werden uns organisieren, uns zusammenschließen, dann werden wir unsere eigene Hierarchie haben, unsern eigenen Patriarchen. Die Staatsmacht wird uns nicht mehr fürchten, sie wird verstehen, dass wir uns dem Staat verbündet fühlen, denn unsere Menschen sind arbeitsam, trinken nicht und haben für Revolutionen nichts übrig. Unsere Grundlage ist die gleiche wie die der englischen Puritaner, nur noch strenger. Auf diesem Fundament lässt sich ein festes Gebäude errichten!«
    Er sprach so überzeugt, so leidenschaftlich, dass Fandorin, wiewohl mit vielem nicht einverstanden, aufmerksam zuhörte. Jewpatjew glich einem altrussischen Heerführer oder Recken.
    »Aber wie wollen Sie das Unglück in Glück wandeln?«, fragte Fandorin.
    »Ganz einfach. Auf moderne Weise. Sobald wir im nächsten Dorf sind, schicke ich einen Boten nach Wologda, in die Redaktion meiner Zeitung. Die sollen sofort nach Denisjewo fahren und als Erste eine Reportage über die Selbstmorde machen. Genau in der Tonart, in der ich jetzt mit Ihnen gesprochen habe. Meine Jungs schreiben eine flotte Feder, ihre Artikel werden in der Hauptstadt und in der Provinz nachgedruckt. Hier ist es wichtig, wer als Erster schreibt und von welchem Blickwinkel aus. Der Schlag soll sich nicht gegen den alten Glauben richten, sondern gegen die Ketzerei der Popenleugner. Kryshow hat mir gesagt, dass Sie einer von uns sind. Also was halten Sie von meiner Idee?«
    »Warm haben Sie’s hier drin«, sagte Fandorin ausweichend. »Danke für die G-Gastfreundschaft, aber jetzt muss ich mir die Beine vertreten.«
    Draußen wirbelte Schneestaub, Wind kam auf. Der Schlittenzugverlangsamte seine Fahrt, so dass Fandorin nicht mehr rennen musste, schnelles Gehen genügte.
    Jewpatjews Kutscher hatte sein gefühlvolles Lied von der jungen Frau beendet und sang jetzt ein Lied von einem in der Steppe frierenden Kutscher, das klang so wehmütig wie ein Wiegenlied.
    Ob es nun an dem Lied lag oder am Schaukeln – im nächsten Schlitten, der an Jewpatjews Equipage gebunden war, schlief man. Der Herold des Fortschritts, Kochanowski, und das Bollwerk der Geistlichkeit, Vater Vikenti, lagen, rührend aneinandergeschmiegt, in tiefem Schlummer. Der Schnee bestäubte ihre Mützen und versilberte ihre

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