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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Bärte, doch Kälte und Gestöber machten ihnen nichts aus. Das Plaid, mit dem sie sich zugedeckt hatten, war weiß geworden und wogte im Wind wie ein Segel.
    Bei diesem »Fliegenden Holländer« zu verweilen, hatte keinen Sinn, darum wartete Fandorin auf den letzten Schlitten, in dem allein und aus vollem Halse singend der wackere Wachtmeister saß. Er sang ein wackeres Lied, das Fandorin unbekannt war.
     
    Einst gewann ein Mädchen
    Den feschen Wanja lieb.
    An seinem Riesenschnurrbart
    Ihr Blick gern haften blieb.
     
    Der Säbel in dem Portepee,
    Die Orden auf der Brust so breit.
    Ach, dem Wanja-Schatz zuliebe
    War zu allem sie bereit.
     
    Als Odinzow Fandorin sah, unterbrach er sein Lied und rief durch das Pfeifen des Windes: »Ach, guter Herr, ich möcht Sie was fragen! Wer sind Sie, und was führt Sie in unsere Gegend? Bei den anderen weiß ich mehr oder weniger Bescheid, nur bei Euer Gnaden hab ich Zweifel. Ich zum Beispiel bin Uljan Odinzow,Polizeioberwachtmeister, des Zaren Auge im Umkreis von zweihundert Werst. Und wer sind Sie?«
    Das »Auge des Zaren« hatte eine klangvolle Stimme und einen scharfen Blick.
    Fandorin antwortete im gleichen Ton: »Wenn das Auge scharf ist, muss es das s-selber herausfinden. Als Oberwachtmeister hast du ja wohl sechs Monate in der P-Polizeischule gelernt? Wohlan, was sagst du über mich?«
    Odinzow kniff die Augen ein, berührte den gezwirbelten Schnurrbart.
    »Gekleidet sind Sie einfach, aber Sie gehören zu den Gebildeten – Kaufmannsstand oder angesehener Bürger. Haben einen Tataren als Lakai. Und weiter? Familie haben Sie nicht, sonst würden Sie einen Ehering tragen. Sie kommen aus Moskau, Ihrer Redeweise nach. Sie waren im Krieg, haben wahrscheinlich eine Kontusion erlitten, darum stottern Sie ein bisschen. Und weiter … An Frost und Fußmarsch sind Sie gewohnt, haben nicht mal einen Pelz an. Über solche hab ich in der Zeitung gelesen. Manche Reichen, die nichts zu tun haben, vielleicht auch ohne Frau und Kinder leben, haben heutzutage solch einen Spleen: Sie wollen bis zum Scheitel der Erde. Nordpol nennt sich der. Der eine mit Hundeschlitten, der andere auf Skiern, noch ein anderer ganz zu Fuß. Und da wollen Sie auch hin, durch unser Gouvernement nach Norden, zum Ozean. Na, hab ich’s erraten?«
    Und er sah Fandorin siegessicher an.
    Die Deduktion des Sherlock Holmes von Stershenez erschien nur auf den ersten Blick verrückt. Nach einigem Überlegen musste Fandorin einräumen, dass dessen Formulierung stimmte: Er wollte wohl wirklich sein Leben lang »zum Scheitel der Erde«, nur nannte er das anders.
    »Ins Schwarze getroffen? Ja, so ist es«, fügte Uljan Odinzow gewichtig hinzu. »Ich habe ein sicheres Auge. Wie ist Ihr Name?«
    Fandorin stellte sich vor und sagte schmunzelnd: »So, und jetzt erzähl ich von dir.« Er musterte den Polizisten genauer, erinnerte sich, wie der sich in Denisjewo verhalten und was die anderen über ihn geredet hatten. »Dein Alter: mindestens achtundzwanzig, höchstens d-dreißig. Du stammst aus dieser Gegend, bist mutig, unabhängig, gewohnt, nach deinem eigenen Kopf zu leben. Du jagst gern, besonders Bären. Entstammst einer Altgläubigenfamilie, bist aber zum orthodoxen Glauben übergetreten. Niemand hat dich gezwungen oder gelockt, es war dein Entschluss. Denn du wolltest zur Polizei, wolltest Verbrecher fangen, doch den Altgläubigen ist dieser Dienst versagt. Du bist Junggeselle, denn hier leben nur Altgläubige. Die Mädchen sehen dir nach, aber dich heiraten können sie nicht. Einer jedoch bist du stets willkommen, heimlich, einer Witwe oder Unverheirateten«, setzte Fandorin hinzu, als er unter dem Uniformmantel einen liebevoll gestrickten Schal hervorlugen sah. »Was machst du so große Augen, Uljan? Ich könnte dir noch viel erzählen. Aber tu du das lieber selbst. Zum Beispiel, wie es war, als dich letztes Jahr der Bär so zuge-gerichtet hat.«
    »Sie haben die Krallennarbe an meinem Hals gesehen!« erriet der Wachtmeister und schüttelte hingerissen den Kopf. »Na, alle Achtung! Ach, gnädiger Herr, Sie sollten nicht zum Nordpol laufen, das ist Spielerei, kommen Sie lieber zur Polizei! Sie könnten uns sehr nützen. Steigen Sie ein, ruhen Sie sich aus, ich geh nebenher.«
    Fandorin dankte und setzte sich in den Schlitten – er spürte, dass dieser Julian Apostata ihm etwas Wichtiges sagen wollte.
    »Mir schwant Schlimmes«, sagte Odinzow halblaut ihm fast ins Ohr. »Ich komme viel durch die Dörfer. Im Volk gärt

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