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Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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alle Bauern des Abends ihr Vieh hin, hängten Wäsche
an einem breiten, wuchtigen Baum auf und trafen sich zum Plaudern,
während in Holzkäfigen gefangene Vögel frische
Abendlüfte genießen durften. Das Dasein aller Lebewesen,
die Yazi kannte, beschränkte sich auf diesen Bau und ein paar
Reisfelder in der hügeligen Umgebung, die seit Generationen
ihrem Volk, den Hakka, gehörten. Neben den Abgaben an den
Mandarin, der über diese Gegend herrschte, galt es die
Räuberbanden zufriedenzustellen, mit denen die kaiserlichen
Soldaten nicht fertig wurden. Nur Schutzgelder retteten das Dorf vor
regelmäßiger Plünderung, denn die Bambusmauern des
Rundbaus hätten die Räuber auf Dauer nicht abwehren können.
Yazi fertigte gemeinsam mit ihrer Mutter und ihren Schwestern des
Abends Stickereien auf Gürteln und langen, schwarzen Röcken
an, die bei Dorffesten zur Schau gestellt werden konnten. Manchmal
brachen ihr Vater und ihre Brüder auf, um diese Arbeiten und den
Ertrag der Felder in den umliegenden Städten zu verkaufen. Yazi
hatte kein klares Bild von dem Rest der Welt und die Sehnsucht nach
dem Unbekannten plagte sie kaum, da das Verrichten der notwendigen
Arbeiten ihr wenig Zeit ließ, Träumen nachzuhängen.
Sobald die Männer losgezogen waren, lag die Verwaltung des
Dorfes in den Händen der Frauen. Sie arbeiteten auf den Feldern,
trieben das Vieh ein und nahmen Reparaturen an dem uralten Rundbau
vor. Keine Frau des Dorfes hatte Lotusfüße. Die meisten
von ihnen hatten sich ihre Ehemänner selbst im Dorf ausgesucht.
Sie wiesen die übrigen Bewerber so lange ab, bis der Auserwählte
endlich seinen Mut zusammennahm und um ihre Hand anhielt. Doch schien
ein solches Leben Yazi zu selbstverständlich, um es als
glücklich oder auch ärmlich zu empfinden. Sie war Teil
eines Ganzen, das sie ernährte, schützte und ihrem Leben
Bedeutung gab. Sie kannte Geschichten über Helden, Geister und
Götter, konnte unsichtbare Welten in ihrem Kopf entstehen
lassen, wenn sie kurz vor dem Einschlafen die Ruhe dazu fand. Doch
niemals wäre es ihr in den Sinn gekommen, sich ein Leben abseits
dieser Gemeinschaft auszumalen.
         Manchmal
waren Gäste gekommen. Händler, die Schutz vor den Räubern
oder vor Unwetter suchten, wurden in dem Rundbau großzügig
bewirtet und hinterließen Geschenke, um sich für die
Gastfreundschaft zu bedanken. Daher fand Yazi nichts Ungewöhnliches
daran, als das Tor eines Abends geöffnet wurde, weil Reisende
sich verirrt hatten und eine Bleibe für die Nacht suchten. Fünf
berittene Männer mit Schwertern am Gürtel kamen herein,
gefolgt von einer Sänfte, die von ihren Trägern in der
Mitte des Rundbaus abgestellt wurde. Yazi war beeindruckt von den
zarten, hellblauen, goldbestickten Vorhängen, aus denen ein
schmächtiger Mann in langer, verzierter Robe stieg. Er schien
ihr sehr jung, fast mädchenhaft mit seinen feinen Gesichtszügen.
Ein nervöses Zucken gönnte seinem linken Auge keine Ruhe.
         »Ein
junger Gelehrter. Der Sohn eines Mandarins aus Nanjing«,
erklärte Yazis älteste Schwester Hiun, die stets alle
Neuigkeiten als Erste herausbekam. »Er hat in Guangzhou seinen
Onkel besucht, der ihm dabei helfen soll, die Beamtenprüfung zu
bestehen.«
         Yazi
stufte den schmächtigen Jüngling schnell als unwichtig ein.
Er schien zu schwach, um irgendeine sinnvolle Tätigkeit
auszuüben, huschte dahin, als fürchte er sich vor dem
eigenen Schatten. Doch für einen Moment blieb er stehen, um die
versammelten Dorfbewohner zu mustern. Yazi staunte, wie rasch alle
sich ehrfurchtsvoll verneigten, aber sie folgte gehorsam dem
Beispiel.
         »Es
ist uns eine Ehre, den edlen Herrn in unserem bescheidenen Heim
begrüßen zu dürfen«, verkündete der
Dorfälteste sogleich. »Wir hoffen, dass er uns die Freude
erweist, gemeinsam mit uns zu speisen.«
         Der
Jüngling sah verwirrt aus. Einer seiner Begleiter flüsterte
ihm etwas ins Ohr. Er verzog das Gesicht, bevor er eine Antwort
murmelte.
         »Rong
Yingxiong, Sohn des edlen Rong Dongji aus Nanjing, fühlt sich
geehrt, eure Einladung anzunehmen«, entgegnete dieser Begleiter
dann laut an die Dorfgemeinde gewandt. Yazi fragte sich, ob der
fremde Jüngling auch zu schwach war, um mit hörbarer
Lautstärke zu reden.
         »Er
versteht vermutlich unsere Sprache nicht. Die Han aus Nanjing haben
einen anderen Dialekt«, flüsterte Hiun ihr sogleich ins
Ohr. Der Fremde stieg dadurch nicht in Yazis Achtung. Sein

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