Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)
mit braunem Stoff bezogen waren, jene
Uhren, deren Schriftzüge sie nicht zu lesen vermochte, und
andere, im Laufe seines Lebens angesammelte Schätze lagen
verstreut herum. Inmitten dieser Unordnung stand ein Diener, der mit
Hilfe eines Fächers für kühle Luft sorgte. Nachdem
Rengan aufgestanden war, um den himmlischen König und seine
Schwester angemessen zu begrüßen, nahmen alle drei Hongs
an einem großen Marmortisch Platz. Yazi stellte sich
pflichtbewusst in eine Ecke, denn es stand ihr nicht zu, sich in
dieses Gespräch einzumischen. Speisen wurden hereingetragen,
gefolgt von einer Flasche englischen Portweins, den Xiuquan
selbstverständlich ablehnte. Seine Schwester folgte diesem
Beispiel, doch ging dem ein deutlicher Moment des Zögerns
voraus, als hätte Xuanjiao durchaus gern angenommen, fürchtete
jedoch das Missfallen ihres Bruders. Rengan aber durfte trinken.
Nachdem er behauptet hatte, ohne Weingenuss nicht essen zu können,
war für ihn eine Ausnahme gemacht worden.
»Es
gibt zwei Dinge, die ich besprechen möchte«, begann Rengan
nach dem üblichen, höflichen Geplauder. »Zunächst
einmal sollten die Hinrichtungen aufhören. Die Lao Wai sind
zimperlich, was Blutvergießen betrifft.«
Yazi
beugte sich so unauffällig wie möglich vor. Das Herz
hämmerte ihr in der Brust. Keine Hinrichtungen mehr! Jede andere
Strafe würde sie ertragen können, wenn sie nur ihr Kind
behalten durfte.
Xuanjiao
hörte mit unbeweglicher Miene zu. Hong Xiuquans Gesicht sah
zunehmend eingefallen und faltig aus, aber seine Schwester hatte mit
den Jahren nichts an stolzer Schönheit eingebüßt. Ihr
von jahrelangen Kampfübungen gestählter Körper wirkte
biegsam und gleichzeitig hart wie ein Bambusspeer.
»Die
Engländer haben hier bereits viel Blut vergossen«, wandte
Hong Xiuquan ein. »Ihre Truppen mordeten, plünderten und
schändeten unsere Frauen. Dabei waren sie keineswegs
zimperlich.«
Rengan
begann zu lachen.
»Dein
Auserwählter Lord Elgin ist eben ein geborener Sieger, wie du
selbst bemerkt hast! Er hat gemeinsam mit den Franzosen Guangzhou
eingenommen, eine der wenigen Städte im Süden Chinas, die
noch den Qing gehörte. Jetzt muss der Kaiser ihnen Unsummen
zahlen, um für Schäden aufzukommen, die durch ein paar
Angriffe auf ihre Leute und Schiffe entstanden. Was ist mit all der
Zerstörung, die sie durch ihre Kriege in unserem Land verursacht
haben? Aber für uns ist all dies eine große Chance. Wir
müssen den Fremdlingen schmeicheln, damit sie uns helfen, die
Dämonen zu entmachten.«
Xiuquans
gelehrtes Gesicht gefror. Er strich nachdenklich über seinen
Schnurrbart.
»Sollen
wir uns deshalb zu ihren Dienern machen?«
Rengan
zeigte lächelnd seine makellosen Zähne.
»Sie
sollen denken, dass es so ist. Aber wir werden klug sein, geschickt
wirtschaften, von ihnen lernen, bis wir sie nicht mehr brauchen.
Überlasse es mir, denn ich kenne sie. Zunächst einmal aber
sollten wir ihnen entgegenkommen, denn wir brauchen Shanghai.«
Yazi
zwang sich mit aller Kraft, eine gleichmütige Miene zu wahren,
doch brannte sie vor Neugier, mehr von den Plänen zu erfahren.
Auch Xuanjiao schien hellhörig geworden zu sein. Sie ließ
die Essstäbchen sinken, um Rengan mit ihrem scharfen Blick zu
fixieren.
»Ein
Teil Shanghais gehört den Lao Wai«, fuhr er auch schon
fort. »Wir werden die Stadt angreifen und sie werden uns
unterstützen. Dadurch gewinnen wir einen wichtigen Hafen, einen
Handelsknotenpunkt. Danach ziehen wir nochmals gen Beijing, der Höhle
der Dämonen, und machen ihnen den Garaus. Sobald die Engländer
und Franzosen auf unserer Seite sind, haben wir gewonnen. Du kannst
dich im Kaiserpalast einrichten. Die Lao Wai überlasse mir, ich
weiß, wie ich mit ihnen zu verhandeln habe.«
Er
nahm einen weiteren Schluck Wein. Yazi fiel auf, wie schnell er
trank, ohne dass dies irgendeine Wirkung gezeigt hätte. Seine
Stimme klang völlig klar und energisch. Aus seinen Augen sprühte
der Eifer. Xuanjiao starrte ihn weiter aufmerksam an und lächelte
verhalten. Xiuquan hingegen saß nur mit gerunzelter Stirn da.
»Gut,
der Angriff auf Shanghai, da stimme ich dir zu«, meinte er nach
einer Weile. »Mein General Li Xiucheng soll das Kommando
bekommen, denn von militärischen Fragen verstehst du nichts.«
Rengan
ließ den Weinbecher sinken.
»Aber
ich kenne die
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