Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)
fröhlich weiter. »So
viel hast du nicht getrunken, aber na ja, ihr vertragt ja kaum
Alkohol. Trotzdem, zuerst dachte ich …«
Ein
Kichern unterbrach ihre Worte.
»Also
ihr beiden hättet ein wirklich hübsches Kind, da bin ich
mir sicher. Sag einmal, wann hast du das letzte Mal geblutet?«
Yazi
versteinerte. Waren alle Lao Wai so unverblümt mit ihren Fragen?
Sie hatte oft geblutet, da sie an vielen Kampfübungen
teilgenommen hatte. Aber sie wusste, was Marie meinte.
»Letzte
Woche«, sagte sie mit Nachdruck. »Ich habe nicht den
geringsten Grund, mir Sorgen zu machen. Dazu gibt es keinen Anlass.«
Sie
richtete sich zu ihrer Rolle als Hauptmännin auf, dankte Marie
höflich für ihre Hilfe und trat auf die nächtliche
Straße.
Ein
feiner Regen fiel. Sie hörte Lachen und Gesang. Die Stimmung in
Nanjing war besser als jemals zuvor, Hoffnung lag in der Luft, man
sog sie mit jedem Atemzug ein.
Yazi
erinnerte sich nicht mehr genau, wann sie das letzte Mal in der Art
geblutet hatte, die Marie meinte. Sie hatte niemals darauf geachtet.
Andrew hatte versichert, dass er vorsichtig wäre. Sie hatte zur
Sicherheit bei einer Hebamme regelmäßig Suppen getrunken,
die Schwangerschaften verhindern sollten. Doch als sie die Tür
zu ihrem Guan aufstieß, spürte sie eine Spannung in ihren
Brüsten, die ihr erschreckend vertraut vorkam. Damals, als sie
mit Chuntian schwanger gewesen war, hatte sie sich ähnlich
gefühlt. Und wenn sie sich an ihre letzte Blutung nicht erinnern
konnte, so musste die schon einige Zeit zurückliegen.
Sie
warf sich neben ihre Tochter auf das Bett und schloss die Augen. Tief
in ihr begann die Angst Wellen zu schlagen, löste eine Flut der
Panik aus, in der sie zu ertrinken meinte. Letztes Jahr hatte sie
einer ihrer Soldatinnen in einer ähnlichen Lage geholfen, indem
sie die Schwangere heimlich zu der alten Hebamme gebracht hatte. Ein
Trank hatte zu heftigen Krämpfen geführt, einer sehr
schmerzhaften Blutung, aber das Mädchen war noch am Leben.
Andernfalls hätte ihr eine Hinrichtung gedroht, denn obwohl Hong
Xiuquan die Unzucht zwischen Eheleuten inzwischen nicht mehr strafte,
kannte er kein Erbarmen bei unvermählten Frauen.
Yazi
erinnerte sich, dass sie selbst noch vermählt war. Wenn sie eine
Möglichkeit fand, wieder etwas Zeit mit Rong Yingxiong zu
verbringen und er einwilligte, bei der Täuschung mitzuspielen,
würde der zweite Gottessohn sie vielleicht vor Strafe
verschonen, obwohl sie als Mitglied seiner Palastgarde zu
vorbildlichem Verhalten verpflichtet war.
Sie
wälzte sich zu ihrer Tochter herum und lauschte deren weichen
Atemzügen. Einst hatte sie dieses Kind als unerwünschte
Last in ihrem Körper empfunden, konnte sich jetzt aber kein
Leben mehr ohne Chuntian vorstellen. Wie von selbst legte ihre Hand
sich auf ihren Bauch, vermochte allerdings keine Veränderung zu
ertasten. Trotzdem erklangen wieder Marie Lindleys Worte in ihrem
Kopf. Ein wunderschönes Kind. Ob es wohl himmelfarbene Augen
hätte?
Entschlossen
warf sie sich wieder auf die andere Seite. Derartige Empfindungen
waren gefährlich, denn sie schwächten ihren Verstand. Sie
war nur die zweite Frau von Rong Yingxiong. Es stand allein den
höchsten Anführern der Taiping zu, Konkubinen zu haben,
also war ihre Ehe ungültig. Sollte sie tatsächlich
schwanger sein, dann gab es keine andere Wahl als den Weg zur
Hebamme. Am besten wäre es, Andrew nichts davon zu erzählen,
denn sein Herz war zu weich und er würde unter diesem
notwendigen Schritt vielleicht mehr leiden als sie selbst. Yazis
Kiefer pressten sich so heftig aufeinander, dass sie fürchtete,
ihre Zähne zu zermalmen. Sie hatte in ihrem Leben gelernt, sich
mit dem Unvermeidlichen abzufinden.
******
Am
nächsten Tag begleitete sie Hong Xiuquan und seine Schwester
Xuanjiao zu dem Quartier seines bevorzugten Cousins Rengan, der
inzwischen zum Schildkönig ernannt worden war. Er bewohnte einen
großen, hellen Raum mit Ausblick auf einen blühenden
Garten. Rengan, eine elegante, feingliedrige Gestalt, lag hinter
gelben Vorhängen schlummernd auf seinem Bett. Sein Zimmer war
derart mit Gegenständen gefüllt, dass man vorsichtig Fuß
vor Fuß setzen musste, um nicht zu stolpern oder etwas zu
zertreten. Chinesische und englische Bücher, japanische Messer,
Porzellan, das aus Europa stammen musste, da es fremd aussah, und
ebenso exotische Lampen, die
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