Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)
nicht
so. Einige dieser Missionarinnen, die ich traf, kamen mir vor wie
britische Schlachtschiffe. Sie waren auch ungefähr so attraktiv.
Kein Wunder, dass die englischen Männer in unser Land drängen.«
Er
begann zu lachen. Nach kurzem Zögern stimmte Hong Xiuquan ein.
Xuanjiao setzte wieder ihre stolze, unlesbare Miene auf.
Der
Rest des Mahls verlief mit belanglosem Geplauder, doch konnte Yazi
die in der Luft liegende Spannung wie Knistern auf ihrer Haut spüren.
******
Nachdem
Hong Xiuquan und seine Schwester wieder ihre eigenen Gemächer
aufgesucht hatten, durfte Yazi ihren Dienst an ein anderes Mitglied
der Palastgarde abtreten. Sie hastete zurück in den Guan, um
sich von Uniformjacke und Drachenhut zu befreien. Ihr Kopf drehte
sich, so viele Gedanken rasten darin herum. Keine Hinrichtungen mehr,
zumindest für eine Weile. Der geplante Angriff auf Shanghai. Und
sichtliche Unstimmigkeiten zwischen den Königen in der Stadt.
Sie sehnte sich nach Andrew, um ihm all dies mitteilen zu können.
Vielleicht würde sie jetzt auf den Weg zur Hebamme verzichten
können. Eine vage Hoffnung begann, klarere Umrisse anzunehmen.
Ein Bündnis zwischen den Lao Wai von Shanghai und den Taiping
würde vielleicht auch andere Verbindungen zwischen Chinesen und
Europäern ermöglichen.
Nach
dem gemeinsamen Abendgebet überließ Yazi Chuntian der
Aufsicht einer anderen Soldatin, die ebenfalls Kinder hatte, um zu
den Ruinen der Porzellanpagode zu eilen. Zwar bedrückte Andrew
der Anblick dieser Zerstörung, doch war es immer noch ein recht
sicherer Treffpunkt. An der Eingangstür des Guan stieß sie
fast mit Pofus stämmiger Gestalt zusammen.
»Wieder
einmal in Eile?«, knurrte die Generalin mit einem missliebigen
Unterton. Yazi erstarrte. Pofu war ihre erste Vertraute im
Soldatenlager gewesen, doch hatten die Umstände dazu geführt,
dass sie eben diese hintergehen musste. Pofu duldete keinerlei
Regelverstöße und Yazis heimliche Beziehung zu einem Lao
Wai hätte sie auf der Stelle dem himmlischen König
gemeldet.
»Ich
brauche etwas frische Luft«, meinte sie daher ausweichend und
versuchte, sich an der Generalin vorbeizuschieben. Pofu schien
sogleich etwas breiter zu werden, denn sie versperrte ihr weiterhin
den Weg.
»In
letzter Zeit bist du sehr oft allein losgezogen. Gibt es etwas, dass
dich beschäftigt?«
Yazi
verneinte schnell.
»Ich
genieße nur die Abendluft.«
»Darf
ich sie mit dir genießen? Ich würde gern ein wenig mit dir
plaudern.«
Yazi
trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. Eine innere Stimme
flüsterte ihr zu, dass es sicherer wäre, heute auf ein
Treffen mit Andrew zu verzichten und stattdessen die Generalin
zufriedenzustellen. Doch gab es so viel, das sie ihm erzählen
wollte!
»Bitte,
Pofu, heute Abend will ich allein sein. Ich habe ein paar
Schwierigkeiten mit meiner Tochter, über die ich nachdenken
will.«
Die
Generalin grinste breit.
»Es
behagt dir immer noch nicht, dass sie nicht zur Kämpferin
geboren ist, obwohl dieser verrückte Lao Wai meint, sie hätte
den Verstand eines Gelehrten?«
Yazi
lachte auf.
»Ich
fürchte, du hast Recht. Krieger sind eben wichtiger als
Schreiberlinge.«
Pofu
drückte ihre Zustimmung durch ein tiefes Knurren aus.
»Aber
du magst den Lao Wai?«, bohrte sie dennoch nach.
»Nun
ja, er ist klug. Aber eben kein Krieger. Ich könnte auch
Chuntians Verstand mehr achten, wenn sie nicht ausgerechnet meine
Tochter wäre.«
Das
war nicht einmal gelogen. Pofus Gesicht entspannte sich zu einem
verständnisvollen Lächeln.
»Dann
denke nach«, meinte sie und klopfte Yazi auf die Schulter.
Leider waren Pofus Freundschaftsbezeugungen immer so heftig wie
Angriffe. Yazi blieb nur mit größter Mühe aufrecht
stehen.
»Ich
danke dir für dein Verständnis. Morgen gehen wir gemeinsam
spazieren.«
Endlich
kam sie an der stämmigen Generalin vorbei.
»Vielleicht
fällt dir ja noch ein, wie du aus deiner Tochter eine richtige
Soldatin machen kannst«, rief Pofu ihr hinterher. »Dieser
Lao Wai tut ihr nicht gut, er bestärkt sie nur in ihren
unsinnigen Interessen.«
Yazi
floh vor diesen Worten, da sie ihr plötzlich hart und vor allem
dumm erschienen. Andrew hatte sie gelehrt, über vorgegebene
Grenzen hinaus zu blicken, sie dadurch aber auch
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