Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)
aber sanft
fortgeschoben.
»Als
ich hörte, mit welchen Leuten Lady losgezogen ist, dachte ich,
sie liegt bald schon tot im Wasser. Aber zum Glück ist es nicht
so«, meinte er und seine Finger pressten Viktorias Schultern so
stark zusammen, dass sie wieder mit blauen Flecken zu rechnen begann.
Trotzdem war sie zu glücklich über diese Berührung, um
sich ihr zu entziehen.
4. Kapitel
Der
Sprung ins Wasser blieb Viktoria nicht erspart, doch nahm Jinzis
Gegenwart ihm etwas an Schrecken. Trotzdem stach die Kälte mit
Messern in ihren Körper, sie wimmerte und hörte ihre Zähne
klappern, während Jinzis Arm sie energisch packte und zum Ufer
schleppte. Dewei zerrte wie bereits verabredet den Koffer durchs
Wasser. Kaum waren sie angekommen, wurde der frische Nachtwind zur
Qual. Viktoria zitterte wie nie zuvor in ihrem Leben, während
Jinzi rasch die Decken vom Wagen holte.
»Wärmt
euch gegenseitig«, rief er, als er Dewei zwei davon zuwarf. Die
dritte schlang er um seine eigenen Schultern und setzte sich vorn auf
den Karren.
»Wir
müssen erst einmal weg von hier. Die Händler feiern ihr
großartiges Geschäft in Binzhou, aber vielleicht schickt
der Anführer ein paar Leute früher zurück.«
Viktoria
sehnte sich nach einem weichen Bett und einer heißen Tasse Tee,
doch der Karren holperte unerbittlich los. Sie spürte das Beben
von Deweis Gliedern an ihrer Seite. Er schmiegte sich so heftig an
sie, als wolle er in ihren Körper kriechen. Eng umschlugen
fanden sie tatsächlich etwas Wärme. Jinzi, der allein den
Karren lenkte, tat ihr plötzlich leid, denn er fror sicher nicht
weniger.
Die
Fahrt durch die nächtliche Uferlandschaft schien endlos.
Viktoria fragte sich, ob sie alle nicht bald von einem heftigen
Fieber niedergestreckt würden, an dem sie ebenso sterben könnten
wie Yazi. Doch der Karren rollte weiter. Es waren bereits die ersten
Töne sorgloser Vögel zu hören, als er endlich zum
Stillstand kam. Ein verziertes Tor wies den Weg zu einer Felsenhöhle.
»Hier
wir können uns verstecken«, meinte Jinzi, als er vom
Karren sprang. Viktoria rüttelte den bereits schlafenden Dewei
wach.
»Wir
brauchen etwas Heißes zu trinken«, erklärte sie.
Jeder ihrer Muskeln schmerzte, als sie mühsam vor sich hin
torkelte.
»Sie
nehmen Wasser. Kochen es. Wir trinken es«, kam es sogleich
zurück. Eine prall gefüllte Wasserflasche wurde ihr
entgegengehalten. Sie griff gehorsam zu, dann folgte sie Jinzi, der
den Karren in ein Gebüsch gelenkt und das Maultier festgebunden
hatte, in die Finsternis der Felsen.
Es
war ein verwinkelter, mit Löchern versehener Weg. Viktoria
stolperte mehrfach, doch konnte sie sich auf Dewei stützen. In
den Felsnischen entdeckte sie bunte chinesische Götterfiguren,
vor denen brennende Räucherstäbchen für ein wenig
Helligkeit sorgten.
»Ist
das so etwas wie ein Heiligtum?«, wandte sie sich an Dewei.
»Ja.
Wahrscheinlich kommen die Leute aus dem Umland her, um zu beten und
Gaben zu bringen. Wenn wir Glück haben, finden wir auch etwas zu
essen.«
»Das
würde ja heißen, Götter zu bestehlen«, kicherte
Viktoria.
»Götter
nicht sterben vor Hunger«, kam es von Jinzi, der sich
entschlossen durch die Dunkelheit tastete.
Viktoria
verspürte Bewegungen in der Luft. Im letzten Moment konnte sie
den Fledermäusen ausweichen, deren Flügelschlag ihr ein
lautes Schreien entlockte. Jinzi drehte sich um. Sie erwartete einen
abfälligen Kommentar über ihr dümmliches Benehmen,
doch zu ihrem Erstaunen ergriff er einfach ihre Hand.
»Hier
nicht gefährlich. Bald wir können uns ausruhen«,
murmelte er, und Viktorias Panik ließ tatsächlich nach.
Schließlich
erreichten sie eine große Grotte, die mit Lampen erhellt war.
In ihrer Mitte erblickte Viktoria zwei große, steinerne
Figuren, die Seite an Seite knieten. Ihre Hände ruhten dicht
nebeneinander, als wollten sie sich gerade berühren. Ein völlig
entspannter, weltentrückter Ausdruck lag auf den glatt polierten
Gesichtern. Wieder verspürte Viktoria jenen Hauch der
Leichtigkeit, die chinesische Heiligtümer ausstrahlten.
Versonnen musterte sie die Girlanden, mit denen die Hälse der
Figuren geschmückt waren.
»Hier
gibt es Essen!«, riss Dewei sie aus ihrer Andacht und stürzte
sich auf die Schüsseln und Bretter, die vor den Figuren standen.
Gierig verschlang er einen Apfel,
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