Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)
während Jinzi den Inhalt der
verschlossenen Gefäße untersuchte.
»Kalter
Reis besser als nichts«, meinte er und reichte Viktoria eines
davon. »Wir noch müssen machen Feuer, um warmes Wasser zu
trinken.
Er
schüttelte den Inhalt einiger kleiner Holzschüsseln in eine
große, dann zerschlug er die leeren Gefäße an der
Steinwand. Inmitten des felsigen Bodens entdeckte Jinzi eine Mulde,
wo er die hölzernen Trümmer verteilte und anzündete.
Er goss das Wasser aus der Flasche in eine tönerne Kanne, in der
bereits ein paar Teeblätter schwammen, und setzte sie auf das
Feuer. Viktoria staunte, wie flink er sich mit den einfachsten
Mitteln behelfen konnte. Selbst den Reis vermochte er nun ein wenig
aufzuwärmen. In ihre Decken gehüllt kauerten sie um das
Feuer, griffen mit den Fingern in die Reisschüssel und füllten
den Inhalt der Kanne in eine Tasse, die sie bei den Abgaben gefunden
hatten und herumgehen ließen. Viktoria überlegte, dass ein
Schuss Rum die vage nach Tee schmeckende Flüssigkeit genießbarer
gemacht hätte, doch tat die Wärme in ihrem Magen wohl
genug. Ihre Kleidung war weitgehend getrocknet, das quälende
Frieren ließ nach und sie empfand erstaunliche Zufriedenheit.
Hier in der Höhle blies kein eisiger Wind mehr, auch wenn klamme
Feuchtigkeit herrschte.
»Wir
schlafen hier. Besser als draußen«, entschied Jinzi und
wies auf einen Felsspalt dicht hinter der Feuerstelle. Dahinter tat
sich eine weitere, kleine Höhle auf. Durch das prasselnde Feuer
war es dort bereits einigermaßen warm geworden.
»Hier
am besten. Man kann uns nicht gleich sehen«, fuhr er fort.
Dewei breitete sogleich die Decken aus und ließ sich
erleichtert fallen. Viktoria kämpfte mit dem Schloss ihres
Koffers, zog schließlich den Paletot heraus. Er war noch etwas
feucht, doch die Wärme ihrer Körper würde bald Abhilfe
schaffen. Als sie sich neben Dewei legte, schien diese kleine Höhle
ihr plötzlich so komfortabel wie ein teures Hotelzimmer, so sehr
sehnte ihr Körper sich nach Ruhe und Schlaf. Unter halb
geschlossenen Lidern nahm sie wahr, dass Jinzi nicht folgte, sondern
in die dritte Decke gewickelt an der Feuerstelle sitzen blieb.
»Sind
Sie nicht müde?«, fragte Viktoria.
»Jemand
muss Wache halten«, kam es nochmals zurück. Sie war zu
erschöpft, um länger zu diskutieren, und schlief gleich
darauf ein.
Als
ihre Augen sich wieder öffneten, herrschte völlige Stille.
Durch den Felsspalt sah sie das Feuer flackern und wurde dadurch an
ihre gegenwärtige Lage erinnert. Sie regte sich leicht. Ihre
Knochen taten weh, doch zum Glück verspürte sie keinerlei
Anzeichen eines beginnenden Fiebers. Ihre Hand tastete ängstlich
nach Dewei. Er atmete völlig ruhig und seine Körpertemperatur
schien normal. Viktoria wurde leichter ums Herz. Dann richtete sie
sich langsam auf. Es gab noch einen Menschen, dessen Wohlergehen ihr
wichtig war.
In
den Paletot gewickelt kroch sie durch den Felsspalt und fluchte
leise, als sie sich den Kopf anstieß.
Jinzi
saß aufrecht neben der Feuerstelle. Die Decke lag auf seinem
Rücken, das lange Haar floss darauf hinab und schimmerte
blauschwarz. Er wirkte so regungslos wie die zwei Götterstatuen,
deren Gesichter weiterhin überirdische Harmonie ausstrahlten.
Viktoria
setzte sich unaufgefordert an seine Seite.
»Sind
das buddhistische Gottheiten? Sie wirken wie das vollkommene Ehepaar.
Entspannt und glücklich Seite an Seite.«
»Sie
sehen einander nicht an. Jeder in sich versunken«, kam es
zurück.
»Aber
ihre Hände berühren sich fast«, entgegnete Viktoria.
»Also, ist das nun die perfekte buddhistische Ehe?«
»Nein.«
Jinzi rückte leicht zur Seite, um ihr Platz zu machen. »Buddha
verheiratet, aber verließ seine Frau, um Glauben zu predigen.
Ich glaube, das sind Gottheiten aus dieser Gegend. Menschen, die vor
langer Zeit große Taten vollbrachten, wurden später als
Götter verehrt.«
»Was
die zwei wohl getan haben?«, sinnierte Viktoria. »Vielleicht
lebten sie einfach nur in Harmonie zusammen. Ich kenne so wenige
glückliche Ehen.«
»Ich
auch nicht. Schwierig. Meist von Eltern arrangiert.«
Jinzi
hatte ihr endlich das Gesicht zugewandt. Er musterte sie aufmerksam
und ohne jede Feindseligkeit.
»So
ist es bei uns auch«, erzählte sie. »Aber immer mehr
Leute wehren sich dagegen. Ich wollte nur
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