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Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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sehr dumm von ihm, auf diesem
langen Rebellenhaar zu bestehen«, entgegnete die Hure mit
völliger Sachlichkeit. Dann verengte die Gasse sich wieder und
Shen Akeus Sänfte übernahm die Führung. Eine endlose
Weile wurde Viktoria durch die kreischend bunte Enge der
Chinesenstadt getragen, dann kamen sie vor einem großen Gebäude
zum Stillstand.
         »Der
Yamen«, erklärte Shen Akeu, nachdem sie aus ihrer Sänfte
gestiegen war. »Hier findet die Verhandlung statt. Sie bleiben
besser draußen, denn Frauen sind dort allgemein nicht gern
gesehen und Jinzi kann nur dadurch Sympathien gewinnen, dass er Ärger
mit den fremden Teufeln hatte.«
         Dann
spazierte die Hure durchs Eingangstor. Viktoria fiel jetzt erst auf,
dass unter der langen, leuchtend blauen Robe winzige Lilienfüße
hervorragten, doch schritt sie sehr rasch und zielstrebig dahin, ohne
die Hilfe ihrer Diener in Anspruch zu nehmen. Vermutlich brauchte es
mehr als verkrümmte Fußknochen, um eine Shen Akeu am
Vorankommen zu hindern.
         Viktoria
knetete nervös den flaschengrünen Stoff ihres
Winterkleides, während sie wartete. Das Plärren
chinesischer Stimmen ließ sie immer wieder zusammenfahren, und
sie sehnte sich nach jener Ruhe, die sie im buddhistischen Kloster
oder in Lao Tengfeis Garten erlebt hatte. Dort, wo sich einfache
Chinesen tummelten, war es wohl keine Sekunde lang still. Sie meinte,
laute, energische Worte aus dem Yamen zu vernehmen, Männer
debattierten offenbar. Dann erklang ein leidvoller Schrei, der wie
ein Messer in ihre Eingeweide fuhr. Ihr fiel wieder Shikais
Beschreibung chinesischer Hinrichtungsmethoden ein, und plötzlich
empfand sie Übelkeit. Manche Dinge würde sie an China
niemals akzeptieren können.
         Immer
wieder kamen Menschen aus dem Tor. Chinesische Soldaten schleppten
einen Mann heraus, der schlaff in ihrem Griff taumelte. Sein Hals war
in einen breiten, hölzernen Kragen gezwängt, sodass er kaum
um sich blicken konnte, doch schien er viel zu apathisch, um dies tun
zu wollen. Sein Gesicht bestand nur aus Schwellungen, Wunden und
Ausschlag, sodass Viktoria angewidert den Blick abwandte. Aus Angst,
sich in Shen Akeus Sänfte zu übergeben, presste sie eine
Hand vor den Mund. Dann vernahm sie das fröhliche Geplapper
einer Bauernfamilie, die ebenfalls den Yamen verließ. Das Atmen
wurde wieder leichter und ihr aufgebrachter Magen fand ein wenig
Ruhe. Offenbar gab es auch milde Urteile.
         Nachdem
eine gefühlte Ewigkeit vergangen war, empfand Viktoria beinahe
Freude, als die zarte, elegante Gestalt der Hure wieder aus dem Tor
schlüpfte. Die Träger der Sänfte folgten ihr. Zwischen
ihnen hing eine leblose Gestalt, deren Füße über den
Boden schleiften. Viktoria stockte der Atem und sie riss die Vorhänge
zurück, um klarer sehen zu können. Als ihre Vorahnung sich
bestätigte, stieß sie einen Schrei aus.
         »Es
war ein mildes Urteil«, erklärte Shen Akeu, bevor Viktoria
ihr Entsetzen in Worte fassen konnte. »Hundert Stockschläge.
Der Verdacht, mit Rebellen zu sympathisieren, reicht aus, um einen
Mann zu jahrelanger Zwangsarbeit oder gar zu einer Hinrichtung zu
verurteilen. Zudem ist es seine Schuld. Hätte er sich dem
Richter um Gnade bettelnd zu Füßen geworfen, wäre er
vielleicht ganz ungeschoren davongekommen. Aber er saß die
ganze Zeit nur mit wütend funkelnden Augen da und machte ein
Gesicht, als würde er alle Staatsdiener am liebsten auf der
Stelle erwürgen.«
         Viktoria
sah sich stumm nach Jinzi um, der gerade in Shen Akeus Sänfte
verladen wurde.
         »Wir
müssen nun zusammensitzen«, meinte die Hure mit einem
feinen Lächeln und stieg zu Viktoria ein, die mechanisch zur
Seite rückte, um Platz zu machen. Sie wurden hochgehoben und
schwebten los. Viktoria verspürte das Kitzeln zuckersüßen
Parfüms in ihrer Nase. Es war so eng in der Sänfte, dass
sie durch den Stoff ihres Rocks Shen Akeus Hüfte fühlen
konnte. Zaghaft hob sie den Blick auf das makellos geschminkte
Gesicht. Die Hure wirkte so rein, so zart und zerbrechlich wie ein
Wesen aus dem Märchenland. Nur um ihren Mund lag ein harter,
fast bitterer Zug, der verriet, dass sie nicht das Leben einer
Prinzessin geführt hatte.
         »Konnte
man denn nichts gegen das Urteil unternehmen?«, bohrte Viktoria
hartnäckig nach. »Hatte Jinzi denn wenigstens einen
Anwalt?«
         »Was
ist das, ein Anwalt?«, fragte die Hure sichtlich neugierig.
Viktoria erklärte kurz das westliche

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