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Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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neugierig, da er zum ersten Mal einen Menschen aus
der Nähe sehen konnte, der seinem Vater glich.«
         Viktoria
hatte bei diesen Worten nicht einmal das Gefühl zu lügen,
denn mit einigem Abstand betrachtet schien ihr dies die
naheliegendste Erklärung für Jinzis Verhalten. Die Momente,
da er sie freundlich, fast zärtlich angeblickt hatte, waren sehr
selten gewesen. Und die Nacht in der Höhle war inzwischen nur
ein schöner, vergangener Traum. Sie selbst hatte dazu
beigetragen, keine dauerhafte Nähe zwischen ihnen wachsen zu
lassen. Die Erkenntnis tat weh, doch entsprach sie den Tatsachen.
         Shen
Akeu ließ von den Melonenkernen ab und schob sich einen kleinen
Keks in den Mund. Sie kaute bedächtig, spülte ihn dann mit
etwas Tee hinab.
         »Dort,
wo Sie herkommen«, begann sie völlig gelassen. »Sind
da alle Frauen so unglaublich blind, was Männer betrifft? Das
würde mich überraschen. Dann müssten eure Völker
doch schon längst ausgestorben sein.«
         Es
dauerte einen Moment, bis Viktoria den Sinn dieser Worte begriff.
Wider ihren eigenen Willen musste sie lachen.
         »Vielleicht
bin ich eben ein besonders hoffnungsloser Fall. Das ist gut möglich.«
         Shen
Akeus Mundwinkel zuckten. Für einen Moment schien es, als
könnten sie wie zwei Schulmädchen zusammen kichern, doch
dann wurde das Gesicht der Hure wieder ausdruckslos.
         »Ich
wusste, dass es ihm nichts als Ärger bringt, sich in eine Lao
Wai zu verlieben. Aber ich ließ ihn nach Shanghai gehen. Ich
halte niemanden gewaltsam fest. Nun haben wir die Folgen.«
         Sie
lehnte sich vor. Ihre Finger streiften für den Bruchteil einer
Sekunde Viktorias Arm.
         »Ich
soll ihm jetzt helfen. Sie kommen zu mir, um mich zu bitten. Ich
weiß, das ist Ihnen nicht leichtgefallen. Aber was bieten Sie
mir als Gegenleistung an?«
         Viktoria
wich zurück. Sie hatte mit vielem gerechnet, mit Beschimpfungen,
mit Ablehnung und Spott. Aber was sollte sie einer Shen Akeu geben
können?
         »Ich
habe noch etwas Schmuck«, sagte sie zaghaft. »Er ist
chinesisch, sehr schön.«
         »Chinesischen
Schmuck habe ich selbst genug«, kam es ungeduldig zurück.
»Was ich nicht habe, ist eine Gestalt wie Sie unter meinen
Mädchen. Für die meisten chinesischen Männer wären
Sie nicht wirklich schön, aber das Fremde hat immer einen
gewissen Reiz.«
         Sie
lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Ihr Gesichtsausdruck blieb
unverändert, doch etwas funkelte in den dunklen, schmalen Augen,
Hohn, Zorn oder Hass, Viktoria vermochte es nicht zu benennen. Ihr
war auf einmal so übel, dass sie fürchtete, den Tee
auszuspucken.
         Es
war zu viel verlangt, es war unfassbar. Sie hatte getan, was sie
konnte, um Jinzi zu retten. Niemand konnte ihr noch den Vorwurf
machen, leichtsinnig oder selbstsüchtig zu sein, wenn sie nun
einfach ging, denn Shen Akeus Angebot war zu widerwärtig, um
einer Antwort würdig zu sein. Vielleicht hatte Max von Brandt
doch Recht. Sie sollte fort aus dieser Welt, für die sie nicht
hart genug war.
         Sie
legte die Hände auf den Tisch, um sich abzustützen und
endlich aufzustehen, doch unsichtbare Gewichte drückten sie
nieder. Die Erinnerung an das Leuchten von Jinzis Augen, als er in
der Höhle die Kleidung von ihrem Körper entfernte, wurde in
ihrem Gedächtnis so lebendig, als sei es erst gestern geschehen.
Er war durch das eisige Gewässer geschwommen, um sie zu retten,
hatte nur ihretwegen Joseph Andrews verärgert, und nun konnte
sie ihn nicht einfach in einem Gefängnis verfaulen lassen.
         »Gut,
ich tue, was Sie wollen. Für eine Woche … einen Monat,
wenn es sein muss. Dann ist es genug. Sie können mich nicht mit
Gewalt festhalten, das wissen Sie hoffentlich.«
         Sie
hatte die Worte tatsächlich mit dem Tee ausgespuckt und musste
sich den Mund abwischen. Trotzig sah sie in das Gesicht der Hure,
erwartete ein triumphierendes Lachen oder schlichte Genugtuung, doch
deren Miene drückte nur Fassungslosigkeit aus. Langsam hob sich
eine der zarten, mit Ringen geschmückten Hände, versetzte
den Teetassen und Tellern einen Stoß, der sie mit lautem
Klirren auf dem Boden aufschlagen ließ.
         »Gehen
Sie jetzt!«, kreischte Shen Akeu, bis vor Kurzem noch Sinnbild
orientalischen Gleichmuts, nun wie eine Furie. »Es reicht! Ich
will Sie nicht mehr sehen.«
         Viktoria
flüchtete stumm, huschte die Treppe hinab und durch alle

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