Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)
Akeus Verhältnis
zu Jinzi anzuspielen.
»Ich
tat es seinetwegen«, erzählte die Chinesin unbeirrt. »Ich
weiß, wie stolz er ist. Und mir war auch klar, dass die
kaiserlichen Beamten und ihre Schergen versuchen würden, ihn zu
brechen. Seit den vielen Rebellionen haben sie Angst vor zornigen
jungen Männern wie ihm. Er kann Demütigungen nur schwer
ertragen, ich fürchtete, er könnte den Lebenswillen
verlieren. Daher ließ ich Sie holen. Sie haben Ihre Aufgabe
hervorragend erfüllt, und allzu schlimm war es doch nicht, nach
den Geräuschen in dem Zimmer zu urteilen.«
Ein
leicht spöttischer Blick streifte Viktoria. Sie versteifte sich.
Ihre Wangen brannten vor Scham, aber sie zwang sich, die wichtigste
aller Fragen auszusprechen.
»Und
nun? Sind Sie bereit, uns beide einfach gehen zu lassen?«
Für
einen Moment setzte ihr Herzschlag aus. Shen Akeu musterte
nachdenklich die Felsformation.
»Ich
halte niemanden gewaltsam fest«, bestätigte sie
schließlich Jinzis Aussage. »Aber ihr habt gemeinsam
keine Zukunft. Sie könnten die Frau eines wohlhabenden Mannes
werden, und das sollten Sie tun, solange noch Zeit ist. Für
einen Mann wie Jinzi, ohne Vater, ohne Beziehungen und ohne
Unterstützung, gibt es in diesem Land kein Auskommen. Ich kann
es ihm geben, daher braucht er mich.«
Während
Viktoria nach passenden Worten des Widerspruchs suchte, wandte Shen
Akeu ihr das Gesicht zu.
»Ich
habe immer gewusst, dass er sich irgendwann eine jüngere Frau
wünschen würde«, redete sie weiter. »Ich war
bereit, es hinzunehmen. Er sollte trotzdem mein Erbe werden. Sich um
mich kümmern, damit ich im Alter nicht allein bin. Doch will ich
ihn weiter an meiner Seite haben. Wären Sie bereit, in meiner
Welt zu leben?«
Viktoria
atmete tief durch. Es war eine ehrliche Frage, die eine ebensolche
Antwort verdiente.
»Nein«,
gestand sie. »Das kann ich nicht. Ich möchte, dass er die
Familie seines Vaters kennenlernt. Vielleicht hat er dort eine
Zukunft.«
Shen
Akeu lächelte sanft.
»Es
gibt etwas, das Sie wissen sollten. Der britische Konsul war bereit,
Jinzi freizulassen, denn dieser junge Mann, der ihn verhaften ließ,
machte sich überall unbeliebt. Aber ein anderer Engländer
begann sich einzumischen, nachdem das Gerücht die Runde machte,
er sei mit Jinzi verwandt. Dann wurde auf dem Schiff noch ein Papier
mit dem Taiping-Siegel gefunden, doch was sollten die Engländer
damit anfangen? Vermutlich hätten sie es weggeworfen. Die Idee,
Jinzi deshalb den chinesischen Magistraten zu überlassen,
stammte von einem Robert Huntingdon.«
Viktoria
schlang die Arme um ihre Schultern. Auf einmal fror sie wieder.
»Woher
wissen Sie das?«
»Ich
erfahre solche Dinge. Muss ich Ihnen wirklich erklären, wie das
vor sich geht?«
Viktoria
schüttelte den Kopf. Zorn tobte in ihrem Inneren, Unverständnis
und der Drang, das Rätsel über Andrews Verschwinden endlich
aufzuklären.
»Ich
möchte all das mit Jinzi besprechen«, sagte sie
schließlich. Shen Akeu widersprach nicht. Gemeinsam standen sie
auf und traten den Rückweg an.
»Sie
wollen einen Erben«, fiel Viktoria unterwegs ein. »Haben
Sie denn … ich meine … haben Sie niemals Kinder
bekommen.«
Sie
wollte nicht darauf hinweisen, dass Shen Akeu dazu sicher viele
Gelegenheiten gehabt haben musste.
Die
Chinesin hielt den Kopf gesenkt, tat konzentriert einen Schritt nach
dem anderen.
»Mit
vierzehn wurde ich schwanger. Die Bordellbesitzerin holte einen
billigen Arzt, um das Problem zu lösen. Ich bin fast verblutet,
und dann wuchsen keine Kinder mehr in meinem Leib.«
Ein
eisiger Wind schien in Viktorias Gesicht zu blasen. Sie meinte, in
einen Abgrund aus Schmerz und Hilflosigkeit zu blicken, der die
Jugend dieser Frau gewesen sein musste. Kurz blieb sie stehen,
bekämpfte den Wunsch, Shen Akeu eine tröstende Hand auf die
Schulter zu legen. Dieses Verhalten wäre nicht angebracht.
»Ich
kann mir vorstellen, wie schrecklich das war«, sagte sie in dem
hilflosen Bemühen, Mitgefühl auszudrücken. Shen Akeu
versteinerte ebenfalls für einen Moment.
»Nein«,
erwiderte sie nur. »Sie können sich das nicht vorstellen.«
Dann
gingen sie schweigend zu dem Bordell zurück.
8. Kapitel
»Warum
willst du allein dorthin? Das ist vielleicht
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