Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)
gefährlich.«
Jinzi
beobachtete mit verschränkten Armen, wie Viktoria wieder in ihr
flaschengrünes Winterkleid schlüpfte und ihr Haar zu einem
Knoten flocht. Der Anblick der weiten Pantalons entlockte ihm ein
Grinsen.
»Mir
können sie nichts tun«, erwiderte Viktoria. »Und
deine Nǎinai mag mich. Ich muss es irgendwie schaffen, zu ihr
vorzudringen. Sie wird froh sein, zu hören, dass es dich gibt.«
Diese
Aussage löste nur ein ungeduldiges Schnauben aus. Viktoria
wandte sich energisch um.
»Vielleicht
solltest du meinem Urteil einfach vertrauen. Ich kenne die Welt
deines Vaters besser.«
Jinzis
Gesicht entspannte sich ein wenig.
»Was
willst du denn herausfinden? Sie wollten mich loswerden, so wie
damals meine Mutter. Es überrascht mich nicht.«
»Aber
mich überrascht es«, entgegnete Viktoria. Dann steckte sie
mit vor Aufregung zitternden Händen zwei Jadeperlen, die Dewei
ihr einst zum neuen Jahr geschenkt hatte, in ihre Ohrläppchen.
Ohne Schmuck fühlte sie sich nackt.
»Es
muss einen Grund geben, warum sie solche Angst vor deinem Auftauchen
haben. Dass Engländer hier Kinder mit Chinesinnen bekommen, das
ist nun wirklich keine Seltenheit. Sie hätten dich einfach
fortjagen können, aber …«
Ein
Ohrring entglitt ihren Fingern, als sie plötzlich begriff. Es
war so offensichtlich, wie hatte sie es all die Zeit nicht sehen
können?
»Ganz
einfach«, fuhr sie fort, während sie auf Knien nach dem
verlorenen Schmuckstück suchte. Sobald es endlich in ihrer
Handfläche lag, richtete sie sich triumphierend auf. »Deine
Mutter war nicht einfach die Geliebte deines Vaters. Er hat sie
geheiratet, es gibt ein Dokument, von einem englischen Priester
ausgestellt, daher ist es auf jeden Fall rechtsgültig. Und da
Robert Huntingdon keine Nachkommen hat, bleibst nur noch du. Du bist
der Erbe des Handelshauses der Huntingdons.«
Sie
musterte diesen Erben mit seinen hohen Wangenknochen und elegant
geschwungenen, ganz und gar asiatischen Augen, den chinesischen Hosen
und dem nackten, muskulösen Oberkörper eines Akrobaten. Die
Vorstellung, er könne auf schweren Eichenstühlen unter
Ölgemälden im Speisesaal der Huntingdons sitzen, schien so
verrückt, dass sie fast lachen musste. Jinzi legte seine Hände
um ihre Taille, zog sie an sich und küsste ihren entblößten
Nacken.
»Es
ist nett, dass du dich so bemühst. Aber das Dokument verschwand
damals mit meinem Vater. Wahrscheinlich wurde es vernichtet.«
Viktoria
rieb ihren Kopf an seiner Schulter.
»Dann
hätten sie keine solche Angst. Sie wissen selbst nicht, wo das
Dokument ist, können es jedenfalls nicht vernichten. Vielleicht
finden wir so auch deinen Vater, wer weiß. Vergiss nicht, was
deine Mutter sich gewünscht hat.«
Dieses
Argument zeigte die erwartete Wirkung, denn Jinzi ließ sie los,
um ihr nachdenklich ins Gesicht zu blicken.
»Na
gut, versuche herauszufinden, was aus ihm wurde. Aber ich will ihr
Geld nicht, wenn sie mich nicht wollen.«
Ärger
grummelte in Viktorias Magen. Stolz konnte manchmal eine sehr lästige
Eigenschaft sein.
»Wir
reden darüber, wenn alles geklärt ist«, sagte sie
schließlich, denn dies war nicht der richtige Moment für
eine längere Auseinandersetzung. Der Herzschlag klopfte
aufgeregt in ihren Ohren. Sie musste eine persönliche
Unterredung mit Margaret führen, ja vielleicht Robert
konfrontieren, doch wusste sie nicht, wie sie überhaupt durch
die Eingangstür der Huntingdons gelangen sollte, ohne von
Dienern wieder hinausgeworfen zu werden. Wenn Margaret schwer krank
war, dann ging sie auch nicht mehr nach draußen. Ideen
entstanden in ihrem Kopf, nur um sogleich wieder als nutzlos
verworfen zu werden. Anette konnte nicht helfen, sie hatte sicher
keinen Umgang mehr mit den Huntingdons. Der englische Konsul würde
sie weiterhin nicht empfangen wollen. Max von Brandt war wieder in
Peking. Von den Europäern in Shanghai konnte sie somit keine
Unterstützung erwarten.
»Sieh
dich bitte nach Dewei um«, wandte sie sich an Jinzi. »Er
hockt sicher irgendwo bei den Dienern und tratscht.«
Zu
ihrer Überraschung kam kein Widerspruch. Jinzi ging hinaus, um
bald darauf mit dem Jungen zurückzukehren.
»Wir
gehen jetzt in die internationale Siedlung«, erklärte
Viktoria. »In die Nanking Road, zum Haus der Huntingdons.
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