Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)
alle wieder frisch
und sauber sind, sollten wir eine kleine Mahlzeit zu uns nehmen.«
Entschlossen
streckte sie die Hand nach der Klingel aus.
******
Dewei
steckte in einer jener weiten chinesischen Hosen, die Shikai für
ihn aufgetrieben haben musste, denn im Gegensatz zu seiner bisherigen
Kleidung war sie frei von Schmutz- und Blutflecken. Auf seinem
verletzten Rücken glänzte die Salbe.
Die
Amah servierte jene mit Schinken, Käse und Gurken belegten
Brothälften, die Engländer so liebten. Mit ausdrucksloser
Miene stellte sie das Tablett auf dem Tisch ab, um sogleich wieder zu
verschwinden. Shikai war bereits fort. Zufrieden hatte er ein paar
Doller eingesteckt. Vielleicht für seine Familie. Oder für
die Opiumpfeife.
Viktoria
füllte die Teetassen und reichte Margaret eine davon. Dewei
griff nach kurzem Zögern selbst zu. Mit gierigen Schlucken ließ
er den Inhalt der Tasse in seiner Kehle verschwinden, die Sandwiches
jedoch musterte er etwas ratlos. Verlangen blitzte in seinen Augen
auf, gedämpft von Misstrauen und Verwirrung.
Wieder
sagte Margaret etwas auf Chinesisch. Dann biss sie selbst in ein
Gurkensandwich, kaute und schluckte, ohne ihren Blick von dem Gesicht
des Jungen zu nehmen. Auffordernd hielt sie ihm ein mit Wurst
belegtes Dreieck entgegen. Er griff rasch zu, schluckte, ohne lang zu
kauen. Dann holte er sich weitere belegte Brote, verschlang Käse,
Gurken und Eier, als fürchte er, das Essen könne wieder
verschwinden, wenn er nur einen Moment lang zögerte. Das Tablett
war leer, noch bevor Viktoria ein einziges Käsesandwich
aufgegessen hatte.
Dewei
krümmte sich plötzlich und presste seine Hände auf den
Magen. Dann rannte er zu dem Nebenzimmer, wo er gebadet worden war,
doch schaffte er es nicht schnell genug. Hilflos würgte er die
halb verdauten Sandwiches wieder aus, blieb dann kauernd in der Ecke
sitzen.
»Er
verträgt unser Essen nicht«, stellte Margaret ruhig fest.
»Das hätte ich mir denken können. Als ich zum ersten
Mal etwas Chinesisches aß, war mir einen ganzen Tag lang übel.«
Dewei
war aufgestanden. Langsam ging er auf Margaret zu, verbeugte sich und
sprach ein paar Worte. Er sah unglücklich aus. Margaret
antwortete ihm mit beruhigender Stimme, sodass er wieder auf seinen
Stuhl kletterte.
»Er
hat sich entschuldigt!«, meinte sie triumphierend zu Viktoria.
»Das Kind hat Manieren. Er wurde anständig erzogen, bevor
das Schicksal es übel mit ihm meinte. Ich glaube, es wird mit
ihm gar nicht so schwierig werden, wie ich dachte.«
Zufrieden
griff sie nochmals nach der Klingel.
»Wir
sagen der Amah, dass Sie mich zum Bad bringen wollten, als mir
plötzlich übel wurde. Sonst räumt sie das Erbrochene
nicht weg. Dann schicken wir jemanden los, um bei einem
Straßenhändler chinesische Nudeln holen zu lassen. Der
Junge ist ausgehungert. Bringen Sie ihn in ihr Zimmer, Miss Virchow.
Dort soll er erst einmal essen und schlafen.«
Viktoria
sah die alte Dame dankbar an. Allein wäre sie mit der Lage
niemals fertig geworden. Nachdem Margaret ihm alles erklärt
hatte, ließ Dewei sich fügsam an der Hand nehmen, auch
wenn er es vermied, Viktoria anzusehen. Sie ging entschlossen los,
fühlte, wie er nach kurzem Zögern folgte. Sein Gesicht war
Margaret zugewandt, solange sie noch zu sehen war. Viktoria stieg die
Stufen zu ihrer winzigen Kammer hoch, wo sie bisher nur geschlafen
hatte. Die Handfläche des Jungen schien unerwartet warm und sie
staunte, dass sie dies als angenehm empfand. Bisher hatte sie Kinder
ausgesprochen uninteressant gefunden.
******
»Meine
Mutter hat mich von der Geschichte in Kenntnis gesetzt.«
Robert
Huntingdon schritt im Salon auf und ab. Er kam selten zur Ruhe. Seine
Finger zogen eine Zigarre aus der Jackentasche. Kurz zögerte er,
denn es gehörte sich nicht, in Gegenwart von Damen zu rauchen.
Dann fiel ihm wohl wieder ein, dass Viktoria nur eine seiner
Angestellten war, denn er zündete die Zigarre zufrieden an.
»Der
Junge wohnt in Ihrem Zimmer?«
Viktoria
nickte. Am ersten Tag hatte sie Dewei in ihrem Bett liegen lassen,
denn er war nach dem Verzehr chinesischer Nudeln in einen steinernen
Schlaf gefallen. Dann war zum Glück eine Matte aus Bambus
hereingetragen worden, sodass sie einander nachts nicht störten.
»Er
ist ein folgsames Kind«, sagte sie und schob die immer noch
verbundene Hand unter den Stoff
Weitere Kostenlose Bücher