Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)
etwas
Chinesisches. Du suchst es für mich aus«, meinte sie nur.
Wieder blitzte Verständnis in seinen Augen auf.
»Shikai
auch hungrig«, meinte er mit ernster Stimme. Viktoria überlegte
kurz, was sie mit dieser Information anfangen sollte. Dann schien es
auf einmal ganz klar.
»In
dem Fall sollten wir ihm auch eine Mahlzeit kaufen. Ihr beide schlagt
euch die Mägen voll und wenn mir von dem Essen schlecht wird …
dann … dann ist es eben himmlische Gerechtigkeit«, fügte
sie kichernd hinzu.
7. Kapitel
»Also
du sagst, es ging um eine schöne Frau, die einen Gelehrten
heiraten möchte«, meinte Viktoria, als sie mit Dewei aus
der Jinrikscha stieg. Sie hatte nun ihr viertes chinesisches
Theaterstück gesehen, ohne mehr mitzubekommen als sehr hohen,
schrillen Gesang, der manchmal von akrobatischen Kampfhandlungen
unterbrochen wurde. Trotzdem liebte sie die Theater in der Foochow
Road, denn sie konnte sich nicht satt sehen an den farbenfrohen,
seidenen Gewändern, die sowohl Schauspieler als auch Gäste
trugen. Frauen mit komplizierten Hochsteckfrisuren, an denen bunte
Steine und künstliche Blumen hingen, standen auf Balkonen, um
den Gästen Luft zuzufächeln. Unter den Zuschauern waren
Chinesinnen selten, doch tauchten sie auf, so trugen sie eine
unglaubliche Pracht an langen, am Körper entlangfließenden
Roben und glitzernden Juwelen zur Schau, die Viktorias Blicke
fesselten. Das wunderschöne, exotische China existierte
tatsächlich, wenn auch nicht an jenem Ort, wo gewöhnliche
Chinesen lebten. Die Chinesenstadt hatte sie nach dem ersten Ausflug
gemieden.
»Das
nicht normale Frau«, entgegnete Dewei mit vor Anstrengung
gerunzelter Stirn. Zwar sprach er Englisch, doch fehlten ihm immer
noch viele Worte. »Das … das Frau, die kann machen
ungewöhnliche Dinge.«
»Du
meinst, sie kann zaubern. Simsalabim«, kicherte Viktoria und
erhielt einen ratlosen Blick.
»Sie
kann Gelehrtem Botschaft schicken, obwohl sie nicht auf Erde. Sie
Xiānnǚ … sie anderes Wesen.«
»Ein
Engel?«, rätselte Viktoria. »Oder eine Hexe, nein,
dazu war sie zu schön. Ich glaube, bei uns heißt das Fee.«
Dewei
sah sie aufmerksam an und wiederholte das Wort.
»Das
war nicht Frau, sondern Mann«, mischte Shikai sich ins
Gespräch. »In chinesische Theater nur Männer auf
Bühne.«
Viktoria
schluckte verwirrt, denn das war ihr bisher nicht aufgefallen. Wie
konnten Männer so hoch und schrill singen?
»Aber
wir haben Frauentheater«, erklärte Shikai. »Nur
Frauen auf Bühne, spielen auch Männer. Wenn wollen, ich
fahren hin für drei Dollar.«
Viktoria
grinste.
»Nein,
Freundchen, mehr als einen Dollar bekommst du nicht dafür. Und
erzähle mir nichts von deinen Kindern, die auf wundersame Weise
jede Woche mehr werden. Dann bis zum nächsten Ausflug in drei
Tagen.«
Als
sie die Stufen zum Hauseingang hochstieg, wandte sie sich kurz um und
sah, wie Shikai mit dem Kopf nickte. Seit sie sich um Dewei kümmerte,
nahm er sie etwas ernster. Sie hatte zwei chinesische Verbündete
bei ihren heimlichen Ausflügen, die immer dann stattfanden, wenn
Anette sich mit Nathan traf. Shanghai begann ihr vertrauter zu
werden. Auch in der internationalen Siedlung gab es viel Chinesisches
zu entdecken.
Sie
betrat das Haus und erzählte Dewei, dass die letzten
chinesischen Nudeln ihrem Magen nicht mehr zugesetzt hatten, ja dass
sie sich inzwischen auf die nächste chinesische Mahlzeit freute,
solange sie nicht aus Schlangenfleisch bestand. Er nahm die Aussage
leicht verwirrt zur Kenntnis.
»Schlange
gesund, bringen Kraft. Du können bezahlen«, widersprach
er. Viktoria wollte ihm erklären, weshalb dieses Fleisch ihr
zuwider war, doch fiel ihr im ersten Moment kein rechter Grund ein.
Ein Schatten legte sich vor ihre Füße. Sie hob den Kopf
und erblickte Emily Huntingdon.
»Da
sind Sie ja endlich, Miss Virchow. Ich wollte schon heute Morgen mit
Ihnen reden.«
Viktoria
wurde etwas unwohl. Emilys Gesicht rief ihr immer wieder in
Erinnerung, dass das Leben für manche Menschen wie ein steter
Biss in einen sauren Apfel war.
»Würden
Sie mir bitte in mein Zimmer folgen. Die Amah kann sich um den Jungen
kümmern«, fuhr Emily unerbittlich fort. Viktoria ließ
Deweis Hand nur ungern los, doch klang die Stimme der Hausherrin
unerbittlich.
»Nun«,
begann Emily, als sie in
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