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Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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wäre am liebsten
ausgestiegen, um sich auf ihre eigenen Füße zu verlassen,
doch Dewei riet empört davon ab. Es wäre eine Kränkung
für die Männer, erklärte er mit Nachdruck, wenn sie
ihnen so wenig Vertrauen schenkte. Viktoria fügte sich, zog die
Vorhänge der Sänfte zu und schloss schicksalsergeben die
Augen, um einem hysterischen Anfall vorzubeugen. Geschrei hätte
diese Träger wohl nur verwirrt, ja vielleicht abstürzen
lassen. Nach einigem Gerüttel und Geschüttel erreichten sie
endlich das Ufer, wo ein Floß auf sie wartete. Wieder kam
Viktoria sich wie eine Last vor, die es zu verladen galt. Sie wagte
es, nun aus der Sänfte zu spähen, und musste sogleich einen
Schrei unterdrücken. An dem Ufer, das sie gerade verließen,
waren drei menschliche Köpfe aufgespießt. Mit ihren
starren, maskenhaften Gesichtszügen glichen sie Puppen aus einem
Geisterkabinett, nur die Blutkruste am Rumpf ließ einen
gewaltsamen Tod erahnen.
         »Flusspiraten,
die bestraft wurden«, kommentierte Dewei. Viktoria fröstelte
und zog den Paletot zusammen. Sie beugte sich zum Wasser, um das
Mittagsmahl aus ihrer Kehle zu würgen. China war
mittelalterlich, wie Emily gemeint hatte. Doch wurde ihr erst jetzt
die volle Bedeutung dieser Worte bewusst. War es wirklich möglich,
dieses Land zu lieben?

    ******

    Dann
tauchte eines Tages im Morgengrauen eine dicke, kastenartige Mauer am
Horizont auf, der sich die Sänfte allmählich näherte.
»Beijing«, rief Dewei, und Viktoria begriff, dass er
damit Peking meinte. Sie hatten das Ziel der Reise endlich erreicht.
Bald schon wurden sie durch das Tor der Stadtmauer getragen.
         Die
Stadt war ein stinkender, dreckiger Moloch, den eine gelbbraune
Staubschicht einhüllte. Sie war aber auch grazil und
wunderschön, sobald die richtigen Gebäude auftauchten.
Viktoria bewunderte bunt lackierte Bauten, vor denen Statuen von
Löwen, Schildkröten und anderen, nicht klar definierbaren
Tieren standen. Jedes Detail war mit filigraner, ebenmäßiger
Präzision angefertigt. Kleinere Figuren zierten auch die Dächer,
an deren Giebeln zarte, farbenfrohe Malereien aus Holz hingen.
         Peking
schien von so vielen Menschen bevölkert, dass es einem emsigen
Ameisenhaufen glich. Die Sänfte wurde durch schreiende Massen
geschoben, die nach den Trägern und Vorhängen griffen. Ein
kleiner Junge sprang hoch, um Viktoria winzige Bananen
entgegenzuhalten. Zwei Männer in roter Kleidung zogen schwere
Ketten hinter sich her. Sträflinge, erklärte Dewei. Eine
stark geschminkte Frau schwankte auf winzigen Füßen
vorbei. Eine Pfeife hing in ihrem Mundwinkel. Straßenhändler
priesen ihre Waren an, Lastenträger drängten sich vorbei
und überall wurde aus irgendeinem Grund gebrüllt. Viktoria
sah ein kleines, haariges Kamel geduldig durch das Getümmel
trotten. Ausgemergelte Elendsgestalten mit grünlich fahlen
Gesichtern kauerten an den Wänden, sei es, weil sie betteln oder
in Ruhe sterben wollten. Neben einer Frau, die sich nicht mehr
rührte, plärrte ein Säugling sich die Seele aus dem
Leib. Niemand schenkte ihm Beachtung.
         In
Viktorias Kopf drehte es sich, dennoch war sie froh, wieder in einer
besiedelten Gegend angelangt zu sein. Hier wurde sie weniger
angegafft, da die Menschenmassen sie verschluckten. Diese Stadt
schien kein Ende zu haben, zog sich über eine unermessliche
Fläche dahin. Dann wurde plötzlich eines jener roten Tore
geöffnet und Viktoria glaubte, das irdische Paradies zu
betreten, denn sie hatte niemals zuvor etwas derartig Schönes
erblickt.
         Es
war still, als läge der Lärm Pekings plötzlich in
weiter Ferne. Ein Garten wie aus dem Märchenland tat sich vor
ihren Augen auf. Sie sah kleine bepflanzte Hügel, vor denen eine
freundlich lächelnde, rundliche Buddhastatue stand. Über
einen plätschernden Bach spannte sich in hohem elegantem Bogen
eine Steinbrücke. Ein Stück dahinter entdeckte Viktoria
eine weitere hölzerne Brücke, die gerade angelegt war, aber
aus versetzt aneinander gereihten Vierecken bestand. Alles wirkte,
als sei es höchst gründlich ausgemessen und mit Bedacht
arrangiert worden, um ein Bild völliger Harmonie zu vermitteln.
In einem kleinen Teich schwammen Seerosen. Libellen schwirrten wie
glitzernde Edelsteine vorbei. Viktoria spürte, dass sie ruhiger
zu atmen begann und die Anspannung der letzten Wochen von ihr abfiel.
Sie schloss die Augen und sehnte sich danach, eine Weile an diesem
Ort verharren zu können, um

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