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Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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die unverständliche Handlung viel besser erklären
können als irgendjemand anderer. Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl
zurück, dann spürte sie plötzlich den Druck von
Chuntians Fingern an ihrem Handgelenk. Sie staunte, denn das scheue,
nervöse Mädchen vermied es allgemein, andere Menschen zu
berühren.
         »Bitte,
Vi Ki, sprich nicht mit ihm«, flüsterte ihre chinesische
Freundin dringlich. »Er wird wütend werden, weil ich darum
bat, vom Theater zu hören. Er meint, dass es den Charakter
junger Menschen verdirbt. Diese Liebesgeschichten verleiten Leute
dazu, sich nicht nach den Wünschen ihrer Eltern vermählen
zu wollen. Und zudem wird auf der Bühne Kampfkunst gezeigt.
Junge Männer möchten es dann lernen, werden aufsässig,
wollen sich nicht mehr unterordnen.«
         Viktoria
riss die Augen auf. Sie mochte Lao Tengfei, der ihr weitaus mehr
Höflichkeit und Aufmerksamkeit geschenkt hatte als Robert
Huntingdon. In seinem Haus fühlte sie sich nicht wie eine aus
Notwendigkeit geduldete Angestellte, sondern als geschätzter,
geachteter Gast. War er tatsächlich ein derartiger Miesepeter?
Sie hätte es gern auf einen Versuch ankommen lassen, doch schien
es ihr um Chuntians willen ratsam, darauf zu verzichten. Gleichzeitig
aber hatte die Aussicht, durch die Stadt ziehen und Theater aufsuchen
zu können wie früher in Shanghai, eine Flamme der Sehnsucht
entfacht.
         »Gut,
mit deinem Mann rede ich nicht«, beruhigte sie Chuntian. »Aber
wir zwei gehen bald ins Theater. Ich werde einen Weg finden, mach dir
keine Sorgen.«
         Chuntians
Kopf hob sich nach kurzem Zögern. Ein glückliches Lächeln
huschte über ihr Gesicht. Viktoria, die gerade überlegt
hatte, ob es nicht besser wäre, Max von Brandt einen Ausflug ins
chinesische Theater vorzuschlagen, verwarf diesen Plan sogleich.
         Sie
wollte mit Chuntian gehen.

    ******

         Die
Gelegenheit fand sich erst im Herbst, als das Mondfest gefeiert
wurde. Nach einer alten Legende schoss der chinesische Held Hou Yi
neun der zehn Sonnen vom Himmel, die die Erde versengten, befahl der
letzten Sonne, regelmäßig auf- und unterzugehen, was der
Menschheit zum Wohle gereichte. Als Belohnung erhielt er von der
Himmelskaiserin ein Elixier, das ihn unsterblich machen würde,
doch wollte er dies mit seiner Frau teilen, die er über alles
liebte. Durch eine Verkettung unglücklicher Umstände kam es
dazu, dass die Frau das Elixier alleine trank. Sogleich flog sie aus
dem Fenster zum Mond. Hou Yi klagte und rief nach ihr, doch konnte er
sie nicht mehr erreichen. An einem Abend, da der Mond besonders hell
schien, beschloss er ein Fest zu Ehren seiner Frau zu veranstalten.
         Viktoria
gefiel diese Geschichte, und zudem fand sie Gefallen an der Aussicht
auf ein Fest im Mondschein. In der Küche wurden Mondkuchen
gebacken, Lao Tengfeis Töchter bemalten gemeinsam mit Dewei und
jungen Dienern Laternen, die aufgehängt werden sollten, sobald
es dunkel wurde. Sämtliche Höfe waren von emsigem Treiben
erfüllt. Meigui hatte sich zurückgezogen, um sich für
den Abend herzurichten. Jinyu wusste wohl nichts von dem Fest, da sie
in Opiumträumen schwebte. Viktoria gab am Nachmittag vor, sich
hinlegen zu wollen, da sie an Kopfschmerzen leide und erholt zur
abendlichen Gesellschaft erscheinen wollte. Chuntian bot sich an, ihr
Gesellschaft zu leisten, um sie durch das Vorlesen und Übersetzen
chinesischer Gedichte aufzumuntern. Kaum war die Tür des
Holzhauses zugefallen, packte Chuntian ihr mitgebrachtes Bündel
aus. Weite Hosen und eine schwarze Jacke aus grobem Leinen lösten
bei Viktoria mäßige Begeisterung aus, aber sie knöpfte
sich entschlossen aus ihrem Kleid und dem Leibchen, das sie darunter
trug.
         »Du
bist schön«, murmelte Chuntian ehrfürchtig. »So
wie die indischen Frauenstatuen.«
         Viktoria
begriff erst nach einigem Staunen, dass damit wohl die Rundungen
ihrer Hüften und Brüste gemeint waren. Sanft strich sie
Chuntian über die Wange.
         »Ihr
Chinesinnen seid auch schön. Auf eine andere Art«,
versicherte sie. Die Zeit, da sie Chuntian für ein
unscheinbares, zerzaustes Huhn gehalten hatte, lag lange zurück.
Klugheit und Güte vermochten eine Person ebenso reizvoll zu
machen wie ein makelloses Äußeres, auch wenn Anton dies
als albernes Moralisieren abgetan hätte. Sie schlüpfte in
die Beinkleider und knöpfte die Froschverschlüsse der Jacke
zu.
         Chuntian
begann zu kichern.
        

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