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Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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Erzähler und Akrobaten inmitten der
Grünfläche und jener geradlinig angelegten Gehwege, die sie
durchzogen und zu dem Turm hinführten. Drei Frauen stolzierten
auf Stelzen herum. Sänger kreischten in hohen Tönen jene
chinesischen Lieder, die geeignet schienen, Glas zu zersprengen.
Chuntian wandte sich an den Diener und wies ihn sehr entschlossen an,
wohin er den Karren schieben sollte.
         Das
Ziel war ein Seitenweg der Parkanlage, wo eine kleine Tribüne
stand. Ein einzelner Akrobat prahlte dort mit seinem Können,
drehte sich mühelos in der Luft und wirbelte einen Stab herum,
den er anschließend in den Boden stemmte, um sich an ihm
hochzuschwingen und im Handstand zu überschlagen.
         Viktoria
erkannte ihn sofort, ohne einen Moment zu zweifeln. Es mochte an der
überaus selbstbewussten, fast angeberischen Art seiner
Darbietung liegen. Vielleicht war es sein für einen Chinesen
ungewöhnlich hoher Wuchs. Oder die Geschmeidigkeit, mit der er
sämtliche Gesetze der Schwerkraft überwand. In den letzten
Monaten hatte ein Wandel in ihrem Bewusstsein stattgefunden und
Chinesen hatten aufgehört, eine unübersichtliche Masse von
Exoten zu sein, waren zu Menschen mit individuellen Zügen
geworden.
         Der
Akrobat trug diesmal keine Maske. Er hatte immer noch ein sehr
anziehendes Gesicht, schmal, edel und doch von harter
Entschlossenheit, wenn er zum nächsten Sprung ansetzte. Seine
Augen waren elegant geschwungen wie die Giebel chinesischer Bauwerke.
Das Haar fiel blauschwarz über seine Schultern, war im Rücken
zusammengebunden.
         Chuntian
drängte sich mit ungewohnter Resolutheit durch die Menge der
Schaulustigen. Sie blieb so dicht an der Tribüne stehen, dass
sie diese mit dem Kinn berühren konnte. Dann rief sie laut ein
Wort, das Viktoria noch völlig unbekannt war. »Jinzi!«
         Der
Akrobat hatte seinen Stab wieder in den Boden gestemmt, doch
Chuntians Stimme ließ ihn auf einmal erstarren. Der Stab
erzitterte, die Finger, die ihn kraftvoll umklammert hatten,
lockerten ihren Griff. Er beugte sich vor und sein Blick blieb starr
auf die Sprecherin gerichtet, als gäbe es nur noch ihn und
Chuntian auf dieser Welt.
         Viktoria
fühlte einen Stich in ihrem Herzen, für den sie sich
hasste. Es war so albern, so ganz gegen all ihre Vorsätze,
enttäuscht zu sein, weil ein unbekannter Chinese sie nun nicht
mehr beachtete und eine Andere ansah. Es lag wohl an ihrer schäbigen
Kleidung, die sie in eine chinesische Bäuerin verwandelt hatte.
An dem Hut, unter dem sich ihr Blondhaar verbarg. Sie unterdrückte
den abstrusen Wunsch, ihn vom Kopf zu reißen, damit der Akrobat
jene Fremde wiedererkannte, die er vor über einem halben Jahr in
Shanghai angestarrt hatte.
         Er
beugte sich zu Chuntian und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Dann
setzte er zum nächsten Sprung an, doch der Stab rutschte ab, und
er wäre um ein Haar gestürzt. Enttäuschtes Murren zog
sich durch die Versammelten. Chuntian ging mehrere Schritte
rückwärts, ohne den Blick von dem Akrobaten abwenden zu
können. Viktoria riss sie am Ärmel.
         »Also
was soll das jetzt? Möchtest du eine Darbietung abgeben, die
alle anderen in den Schatten stellt? Hier sehen Leute zu, verdammt!«
         Chuntian
fuhr zusammen und wandte ihr verstörtes Gesicht der scheltenden
Lehrerin zu.
         »Es
tut mir leid«, flüsterte sie nur, um dann mit gesenktem
Blick aus der Menschentraube zu treten. Viktoria folgte ratlos.
Sollte es fortan ihr Schicksal sein, anderen Frauen zu heimlichen
Liebschaften zu verhelfen? Dann schalt sie sich für ihre
Selbstsucht. Chuntian musste sich einen Mann mit zwei anderen
Gemahlinnen teilen, von denen eine so strahlend war, dass sie die
übrigen völlig in den Schatten stellte. Warum sollte sie in
ihrem Leben nicht ein wenig Liebe erleben dürfen?
         Sie
gingen schweigend nebeneinander her, während Viktoria die neuen
Erkenntnisse in ihrem Kopf hin und her wälzte. Die Erinnerung an
ein Gespräch, das sie vor einiger Zeit mit Max von Brandt
geführt hatte, ließ sie plötzlich erschaudern.
         In
China hatten Männer das Recht, mehrere Frauen zu haben. Und sie
hatten auch das Recht, diese Frauen wegen Untreue zu töten.
         Wieder
riss sie die in Gedanken versunkene Chuntian am Ärmel.
         »Ich
will gar nicht wissen, woher du ihn kennst«, zischte sie. »Du
hast mich belogen, aber das ist egal. Wenn du meinst, ein paar
Stunden im Gras mit einem schönen

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