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Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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»Du
bist auf einmal nicht mehr so fremd«, kommentierte sie die
Verkleidung. Viktoria musterte sich im Spiegel, verstört über
ihr so völlig verändertes Äußeres. Sie hätte
eine der bestickten Seidenroben Meiguis vorgezogen, den kunstvollen
Kopfputz und die baumelnden Ohrringe, wenn sie sich schon chinesisch
kleidete. Aber Chuntian hatte sicher Recht, sie durften nicht unnötig
auffallen.
         »So,
jetzt dein Haar!«, meinte die Chinesin und befestigte Viktorias
Locken mit Nadeln und Kämmen am Hinterkopf. Dann stülpte
sie ihr einen der breiten Strohhüte über, die von
chinesischen Bäuerinnen getragen wurden.
         »Halte
den Blick gesenkt. Das tun hier anständige Frauen. Die meisten
Leute in Beijing haben noch nie eine Lao Wai zu Gesicht bekommen. Sie
werden einfach denken, dass du etwas eigenartig aussiehst.«
         »Herzlichen
Dank«, spöttelte Viktoria, als sie in weiche Stoffschuhe
schlüpfte. Dann wandte sie sich an Dewei.
         »Willst
du wirklich nicht mitkommen? In Shanghai haben dir die
Theateraufführungen doch immer gefallen.«
         Er
schüttelte hartnäckig den Kopf.
         »Jemand
muss hier sein, um geschickt lügen zu können, falls euer
Verschwinden auffällt«, meinte er nur. Sein todernster,
fast mahnender Blick versetzte Viktoria einen Stich. Als Chuntian
bereits herausgeschlichen war, blieb sie noch einen Moment zurück.
         »Warum
hast du denn solche Bedenken? Das geht alles gut, niemand wird uns
suchen und wenn das abendliche Fest beginnt, sind wir wieder da«,
flüsterte sie dem Jungen ins Ohr. Er legte seine Hand auf ihren
Ellenbogen.
         »Vi
Ki, wenn das herauskommt, dann … dir kann Lao Tengfei nicht
viel tun. Aber der armen Chuntian drohen harte Strafen.«
         Kurz
begann Viktoria zu frösteln, obwohl der Herbst in Peking sehr
warm war. Dann steckte Chuntian ihren Kopf durch die Tür.
         »Jetzt
komm schon, es fällt auf, wenn ich hier draußen
herumstehe.«
         Viktoria
setzte sich in Bewegung. Sie schlichen gemeinsam die Mauer des Hofes
entlang, schlüpften dann durch eine kleine Tür nach
draußen. Eine schmale, schmutzige, vor Leben brodelnde Straße
tat sich vor ihnen auf. Dicht neben der Tür stand ein
Schubkarren mit jenem Diener, den Viktoria bestochen hatte.
         Sie
kletterten hinein. Viktoria musste zugeben, dass chinesische
Frauenkleidung weitaus bequemer war als alles, was sie bisher
getragen hatte, denn sie musste keine wallenden Stoffbahnen
sorgfältig in Ordnung bringen, bevor sie sich setzte. Die Hosen
erleichterten weite Schritte, obwohl sie im Geiste immer noch das
missbilligende Gesicht ihrer Mutter vor Augen hatte, die das Wort
>Hose’ nicht einmal in den Mund genommen hätte. Dann
holperte der Karren los, trug sie durch stinkende Enge auf eine
breite Straße, die sie eine Weile entlangrollten. Viktoria
versuchte sich zu orientieren, aber sie kannte Peking kaum, da sie
die meiste Zeit in Lao Tengfeis Hofhäusern zugebracht hatte oder
eben im Gesandtschaftsviertel, wohin sie in einer Sänfte
getragen worden war. Max von Brandt hatte ihr erklärt, dass die
Stadt in ihren Grundzügen sehr symmetrisch und systematisch
angelegt war. Im Zentrum lag der verbotene Kaiserpalast, davor der
Stadtteil der Mongolen, die China vor über zweihundert Jahren
erobert hatten und sich seitdem als Herrscherkaste behaupten konnten.
Der nächste Stadtteil gehörte den Chinesen. Diese Sektoren
waren von akkurat pfeilgeraden Straßen durchzogen, die sie
unterteilten und umschlossen. Doch zwischen diesen Straßen
schlängelte sich ein chaotisches Netz kleiner Gassen, die
Hutongs, so dicht bebaut und belebt, dass man in ihnen kaum den
Himmel erblickte. Dort herrschte eben jenes stinkende Elend, das
Viktoria bereits in Shanghai erlebt hatte.
         Diesmal
ging es aber eine der geraden Straßen entlang, wo vornehme
Leute in ihren Sänften neben Händlern, Bauern und Bettlern
dahinströmten. Der Karren rollte schließlich durch ein
Tor, hinter dem Viktoria endlich wieder Grün erblickte. Es war
eine weitflächige Parkanlage, in der ein stämmiger,
symmetrisch gestapelter chinesischer Turm sich trotzig am Horizont
abzeichnete.
         »Der
Himmelstempel«, erklärte Chuntian. »Hier treten
viele Schauspieler und Gaukler auf, besonders an einem Festtag.«
         Ihre
Stimme bebte vor Aufregung. Viktoria war ein wenig enttäuscht,
denn sie konnte keine richtige Theaterbühne erkennen, nur
vereinzelte Sänger,

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