Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)
unter ihrem Einfluss ab, beim Essen weder Tisch noch
Fußboden zu beschmutzen, was mit Stäbchen aber höchst
schwierig war. Jinzi plauderte kauend mit seiner Mutter, ohne
Viktoria auch nur anzusehen.
»Rede
Englisch, Jinzi, unser Gast kann dich nicht verstehen«, mahnte
Yazi nach einer Weile.
Nun
huschte sein Blick zu Viktoria. Er streifte sie nur kurz, als sei sie
nicht besonders wichtig.
»Wie
lange schon in China?«, fragte er. Viktoria erklärte, dass
es ungefähr anderthalb Jahre waren.
»Warum
dann nicht sprechen unsere Sprache?«
Sie
fühlte Hitze auf ihren Wangen. Empört sammelte sie ihre
bisherigen Kenntnisse des Chinesischen, auch wenn ihr die Aussprache
jetzt sicher nicht gelingen würde.
»Ich
lerne. Aber es ist schwer.«
Dewei
grinste anerkennend. Auf Yazis Lippen erschien ein zartes Lächeln.
»Siehst
du, Jinzi! Und jetzt benimm dich. Sonst meint sie, ich hätte
dich schlecht erzogen.«
Das
Gesicht des Akrobaten wurde ein wenig dunkler. Offenbar schützte
keine Hautfarbe der Welt vor dem Erröten. Viktoria empfand
hämische Freude, dass er zurechtgewiesen worden war wie ein
unartiges Kind.
»Ich
danke Ihnen, dass Sie mir zu Hilfe kamen«, sagte sie dann
langsam auf Englisch, um selbst nicht als unhöflich dazustehen.
Diesmal musterte er sie nur aus den Augenwinkeln.
»Schon
gut. Tote Lao Wai bringen Unglück. Sie kosten Kaiser einen
ganzen Palast.«
Viktoria
begriff, worauf er anspielte. Als vor über zwanzig Jahren
während des zweiten Opiumkrieges mehrere englische und
französische Gesandte in Peking gefoltert worden waren, hatten
die Engländer ein Invasionsheer losgeschickt, das die
sommerliche Residenz der Kaiserfamilie in Schutt und Asche legte,
wobei zahlreiche Kunstgegenstände gestohlen wurden. Dadurch
waren die Chinesen wieder einmal in die Knie gezwungen worden, sie
mussten den Handel mit Opium weiter dulden und außerdem die
Einrichtung westlicher Gesandtschaften in der Kaiserstadt genehmigen.
Max von Brandt hatte es als einen Akt notwendiger Härte
gegenüber einem Volk störrischer Maulesel bezeichnet und
Viktoria von dieser Meinung überzeugt. Allerdings war ihr auch
klar, dass niemand sich gern zwingen ließ. Sicher waren die
Chinesen deshalb zornig, sie selbst wäre es in ihrer Lage ebenso
gewesen.
Es
missfiel ihr allerdings, nun dafür verantwortlich gemacht zu
werden. Sie fuhr herum, ohne sich weitere Gedanken über ihr
Äußeres zu machen.
»Meinetwegen
wäre sicher kein Palast zerstört worden, keine Sorge. Die
Bettler hätten mich einfach in einen Kanal werfen können.
Niemand hätte je erfahren, was geschehen war!«
Jinzi
ließ kurz die Essstäbchen sinken.
»Warum
hier, wo arme, verzweifelte Leute? Warum nicht zuhause?«,
meinte er an seine Reisschüssel gewandt, als sei es ihm trotz
allem unangenehm, eine derartige Frage auszusprechen, während er
ihr ins Gesicht sah. Viktoria erstarrte. Bisher war nur Meigui so
unverschämt zu ihr gewesen.
»Ich
bin hier, weil ich in meiner Heimat alles verloren hatte und deshalb
fortgehen musste. Arme, verzweifelte Leute gibt es überall«,
sagte sie so ruhig wie möglich. Dewei drückte kurz ihre
Hand, als wolle er sich für das Benehmen seines Landsmanns
entschuldigen. Yazi seufzte leise.
»Dann
hoffe ich, dass es Ihnen in China gefällt«, meinte sie
versöhnlich und warf ihrem Sohn einen mahnenden Blick zu. Jinzi
senkte den Kopf. Er schwieg eine Weile, um dann Viktorias inzwischen
leere Tasse zu ergreifen.
»Wollen
noch Tee?«
Sie
nickte, obwohl sie keinen Durst mehr verspürte. Zufrieden sah
sie ihn ihre Tasse füllen. Als er ihr das Getränk
überreichte, streifte sein Finger für einen winzigen Moment
den ihren. Es musste ein Versehen gewesen sein, denn sein Gesicht
nahm wieder eine sehr dunkle Farbe an. Sein Blick blieb gesenkt, als
habe er Angst, ihr in die Augen zu sehen. Viktoria hätte dieses
verkrampfte Benehmen gern belustigend gefunden, doch leider brannten
auch ihre Wangen aus unerklärlichen Gründen.
»Es
gefällt mir in China«, beantwortete sie schließlich
Yazis Frage. Die Höflichkeit zwang sie, dies zu sagen, obwohl
sie in diesem Land bereits zwei Anstellungen verloren hatte und zudem
noch ausgeraubt worden war.
Dennoch,
als sie an dem Tee nippte, schmeckte er auf einmal so aromatisch und
frisch, dass
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