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Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Titel: Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dryas Verlag
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der Rückseite, welches tatsächlich das Wappen der T­alboys’ trug. Mit einem Seufzer riss er den Umschlag auf. Doch statt einiger persönlicher Worte enthielt er nur die beiden Briefe von George und eine kurze Notiz. „Ich sende Ihnen hiermit die Briefe. Bitte bewahren Sie diese gut auf und schicken Sie sie mir zu gegebener Zeit zurück. C. T.“
    Robert las die Briefe, die sein Freund vor seinem Tod geschrieben hatte. Der Brief aus Liverpool berichtete nur von Georges plötzlichem Entschluss, in eine neue Welt ­aufzubrechen, um das Vermögen wiederzuerlangen, das er in der alten Welt verloren hatte.
    Der andere Brief, unmittel­bar nach Georges Hochzeit geschrieben, enthielt eine ausführliche Beschreibung seiner jungen Frau. Es war eine Beschreibung, wie sie nur ein Mann kurz nach ­seiner Liebesheirat verfassen konnte. Eine Beschreibung, in der jeder Gesichtszug in kleinsten Einzelheiten festgehalten worden war, jeder anmutige Ausdruck von Schönheit genauestens erörtert und der ganze Liebreiz ihres Wesens liebevoll geschildert wurde.
    Robert Audley las den Brief dreimal, bevor er ihn ­niederlegte. Er hatte die Frau erkannt.

7. Kapitel

    S chwerfällig schleppte sich der trübe Londoner Januar in seiner ganzen dumpfen Länge dahin. Die letzten verbliebenen Erinnerungen an die Weihnachtszeit wurden aus dem Weg geräumt, während Robert Audley noch immer in der Stadt verweilte. Er verbrachte seine einsamen Abende im ­stillen Wohnzimmer im Fig Tree Court, spazierte lustlos in den Temple Gardens umher oder beobachtete gedanken­verloren Kinder beim Spielen. Er hatte viele Freunde auf ansehnlichen Landsitzen, deren Gästezimmer stets zu seiner Verfügung bereitstanden und neben deren fröhlich prasselnden Kaminfeuern behagliche, einladende Sessel seiner harrten. Doch seit Georges Verschwinden schien er jeden Gefallen an Geselligkeit und Vergnügungen aller Art verloren zu haben. Er war der gefangene Sklave ­dieses einen düsteren Gedankens, der einen entsetzlichen Vorahnung. Über dem Haus seines Onkels braute sich eine dunkle Wolke zusammen, und es war Roberts Hand, die das Zeichen für den Donnerschlag und den Sturm geben würde, einen Sturm, der das edle Leben auf Audley Court zerstören würde. Diesen Moment fürchtete Robert Audley mehr als alles andere.
    „Wenn sie doch nur die Warnung annehmen würde“, sagte er sich manchmal und fragte sich, wie lange er noch auf den erlösenden Brief vom ­Herrenhaus warten musste. „Der Himmel weiß, ich habe ihr eine faire Chance gegeben. Warum nimmt sie diese nicht wahr und läuft davon?“
    Hin und wieder hörte er von Sir Michael und ­mitunter auch von Alicia. Die Briefe der jungen Dame ­enthielten ­selten mehr als ein paar kurze Zeilen, durch die sie ihn davon in Kenntnis setzte, dass es Papa gut gehe, Lady Audley bester Laune sei und sich auf ihre übliche, oberflächliche Weise die Zeit vertreibe.
    Ein Brief von Mr Marchmont, dem Schulleiter in ­Southampton, unterrichtete Robert davon, dass der kleine Georgey sehr gut vorwärtskomme, in seiner Ausbildung jedoch etwas zurück sei und den intellektuellen Rubikon mehrsilbiger Worte noch nicht überschritten habe. ­Kapitän Maldon habe vorgesprochen, um seinen Enkel zu sehen, doch dieses Privileg sei ihm in Übereinstimmung mit Mr Audleys Anweisungen verwehrt worden. Der Alte war Teil des Geheimnisses, da war sich Robert sicher. Und solange er nicht wusste, welche Rolle Mr Maldon in ­diesem ­heimtückischen Stück spielte, durfte der kleine Georgey keiner Gefahr ausgesetzt werden.
    Ende Februar erhielt Robert einen Brief von seiner ­Cousine Alicia, der bewirkte, dass er seinem ­Verhängnis einen weiteren Schritt entgegeneilte. „Papa ist sehr krank“, schrieb Alicia, „Er hatte einen Anfall schleichenden ­Fiebers als Folge einer schlimmen Erkältung. Er ist an sein ­Zimmer gefesselt. Komm und besuche ihn, Robert, wenn du noch etwas Achtung für deine nächsten ­Verwandten empfindest. Er hat öfter von dir gesprochen. Ich weiß, er wird sich freuen, dich zu sehen. Komm sofort, aber sage nichts über diesen Brief. Deine dich liebende Cousine ­Alicia.“
    Sofort packte Robert Audley seinen Reisesack, sprang in eine Kutsche und erreichte den Bahnhof knapp eine Stunde nach Erhalt von Alicias Brief.

    Gedämpft schimmerten die matten Lichter in der ­beginnenden Dunkelheit, als Robert im Dorf ­Audley ankam. Er ließ sein Gepäck beim Bahnhofsvorsteher zurück und wanderte die stillen Wege entlang,

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