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Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Titel: Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dryas Verlag
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Dawson entrüstet.
    „Ja. Sie sind der Freund meines Onkels. In Ihrem Haus traf er die Frau, die jetzt seine Ehefrau ist. Sie sagte, sie sei Waise, und es gelang ihr, sein Mitleid und seine ­Bewunderung für sich zu gewinnen. Sie erzählte ihm, dass sie allein in der Welt stehe, nicht wahr? Ohne Freunde oder Verwandte. Das ist alles, was ich je über ihr Vorleben ­herausfinden konnte.“
    „Welchen Grund haben Sie, mehr über sie wissen zu wollen?“, fragte der Arzt, der nun neugierig geworden war.
    „Einen ganz schrecklichen Grund“, erwiderte Robert Audley. „Ich glaube, dass die Frau, die den Namen ­meines Onkels trägt, es nicht wert ist, seine Ehefrau zu sein. Ich mag ihr unrecht tun. Der Himmel gebe, dass es so sei. Doch sollte ich ihr unrecht tun, dann hat sich die verhängnis­volle Kette des Indizienbeweises noch nie zuvor derart eng um einen unschuldigen Hals ­geschlungen. Ich möchte meinen Verdacht aus der Welt schaffen ... oder meine Befürchtungen bestätigt wissen. Und es gibt nur einen Weg, wie ich das erreichen kann. Ich muss das Leben der Frau ­meines Onkels genau und sorgfältig zurückverfolgen, und zwar vom heutigen Abend an bis zu einem ­bestimmten ­Zeitpunkt vor sechs Jahren.“
    „Und Ihr Beweggrund ist ehrenwert?“, fragte Mr ­Dawson, noch immer zweifelnd.
    „Ja, ich möchte sie von einem furchtbaren Verdacht befreien.“
    „Der aber nur in Ihrem Kopf existiert?“
    „Und in dem einer anderen Person.“
    „Darf ich fragen, wer diese Person ist?“
    „Nein, Mr Dawson“, antwortete Robert mit aller ­Entschiedenheit. „Ich kann Ihnen nicht mehr mitteilen als das, was ich Ihnen bereits gesagt habe. Bei den meisten Dingen bin ich ein sehr unentschlossener, wankel­mütiger Mensch. In dieser Angelegenheit sehe ich mich jedoch gezwungen, mit Entschlossenheit vorzugehen. Ich wiederhole es nochmals, ich muss die Lebensgeschichte von Lucy Graham in Erfahrung bringen. Sollten Sie sich weigern, mir weiterzuhelfen, dann werde ich eben andere finden, die dazu bereit sind.“
    Minutenlang schwieg Mr Dawson. „Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr Sie mich beunruhigt haben, Mr Audley“, sagte er dann und seufzte. „Ich kann Ihnen nur wenig über Lady Audleys Vorleben berichten. – Sie hat Ihren Onkel im Juni des Vorjahres geheiratet. Vorher lebte sie etwas länger als dreizehn Monate in meinem Haus. Sie kam von einer Schule in Brompton, die von einer Dame namens Vincent geleitet wurde. Es war Mrs Vincents ­nachdrückliche Empfehlung, die mich dazu veranlasste, Miss Graham ohne genauere Kenntnis ihrer Vorgeschichte in meiner Familie aufzunehmen.“
    „Haben Sie diese Mrs Vincent je gesehen?“
    „Nein. Ich suchte durch Inserat eine Gouvernante, und Miss Graham antwortete auf meine Anzeige. In ihrem Brief verwies sie mich an Mrs Vincent, die Besitzerin einer Schule, an der sie zu dieser Zeit als Hilfslehrerin tätig war. Meine Zeit ist immer so ausgefüllt, dass ich froh war, nicht einen ganzen Tag für die Reise nach London opfern zu müssen, nur um dort Erkundigungen über Miss Graham einzuziehen. Ich schrieb Mrs Vincent und ihre Antwort war völlig zufriedenstellend. Miss Graham sei dienst­beflissen, gewissenhaft und für die von mir gebotene Stellung geeignet. Ich akzeptierte diese Empfehlung und hatte niemals Grund, diese Vorgangsweise zu bedauern, die durchaus eine Unbedachtsamkeit gewesen sein mag. Und damit, Mr Audley, habe ich Ihnen auch schon alles mitgeteilt, was ich Ihnen sagen kann.“
    „Wären Sie wohl so freundlich, mir die Adresse dieser Mrs Vincent zu geben?“, fragte Robert und zog sein Notizbuch hervor.
    „Sie lebte damals in Brompton, Crescent Villas Nr. 9.“
    „Ach ja“, murmelte Robert, dem bei den Worten des Arztes eine Erinnerung an den letzten September durch den Kopf schoss. „Diese Mrs Vincent schrieb im letzten Jahr, sie sei krank, liege gar im Sterben. Sie bat Mylady um ihr Kommen.“
    „Tatsächlich! Ich habe Lady Audley diese Begebenheit niemals erwähnen hören.“
    „Vielen Dank, Mr Dawson, für die Informationen, die Sie mir freundlicherweise so offen gegeben haben. Sie führen mich zweieinhalb Jahre in Myladys Leben zurück. Doch es bleibt immer noch eine Lücke von drei Jahren, die ich auszufüllen habe, bevor ich sie von meinem Verdacht frei­sprechen kann. Guten Abend.“ Robert schüttelte die Hand des Arztes und kehrte in das Zimmer seines Onkels zurück.

    Sir Michael war in der Zwischenzeit wieder einge­schlafen. Mylady

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