Das Geheimnis der Maori-Frau (German Edition)
der Szene, die sich erst knapp zwei Stunden zuvor abgespielt hatte. Die Vorhänge von Mays Kammer unter dem Dach waren zugezogen, die Hunde waren wieder in ihrem Zwinger im Stall verschwunden, und niemand hielt sich draußen auf. Es herrschte eine fast schon erdrückende Stille.
»Sieht nicht so aus, als würde hier jemand gefangen gehalten«, kommentierte Greg Simmons überflüssigerweise.
Um zu verhindern, dass er es sich im letzten Moment noch anders überlegte und unverrichteter Dinge wieder davonfuhr, öffnete Ben die Beifahrertür und stieg aus.
»Komm mit«, sagte er. »Du wirst schon sehen, dass ich mir das alles nicht bloß eingebildet habe.«
Mit einem Seufzen kletterte nun auch der Constable aus dem Wagen. Mit deutlichem Widerwillen folgte er Ben die Veranda hinauf zur Haustür. Der hatte bereits geklopft.
»Machen Sie auf, Mr Wood«, forderte er lautstark. »Und dieses Mal behalten Sie Ihre Hunde lieber im Zwinger, denn ich bin mit der Polizei zurückgekommen!«
»Sei still, Makepeace«, zischte Simmons. »Wenn du dich nicht im Griff hast, kannst du gleich im Wagen warten!«
Ben nickte stumm.
Es dauerte nicht lange, bis geöffnet wurde und Callums Gesicht im Türspalt erschien. Er musterte Ben und den Constable abschätzend. »Ja, was kann ich für die Herren tun?«
»Wir würden gern mit deinem Vater sprechen«, erklärte Simmons. »Würdest du uns bitte zu ihm führen?«
Callum nickte. Wenn er nervös war, ließ er es sich nicht anmerken. Ben war immer noch entsetzt über seinen alten Freund. Wie konnte er sich nur derart schäbig verhalten?
Callum führte sie durch eine kleine Eingangshalle zu einem Zimmer, das im rückwärtigen Teil des Gebäudes lag. Ben, der Callums Elternhaus noch nie betreten hatte, schaute sich aufmerksam um. Hier war es vor allem sehr düster. Dunkle, schwere Eichenmöbel dominierten die Halle, schwere Vorhänge vor den Fenstern sperrten das Sonnenlicht aus. Unwillkürlich fragte Ben sich, wie Callum es in einer solchen Umgebung und mit einem solchen Vater all die Jahre ausgehalten hatte. Doch dann dachte er daran, dass sein angeblich bester Freund ihn die ganze Zeit über belogen und sich von seinem Vater zum Gefängniswärter für May hatte machen lassen, und er verwarf den Gedanken wieder. Callum hatte jede Minute verdient, die er in diesem finsteren Loch zubringen musste.
Ingram Wood erwartete sie in seinem Arbeitszimmer, einem großen Raum, der sicherlich hell und freundlich gewesen wäre, hätten nicht auch hier Vorhänge die hohen Fenster verdunkelt. Der alte Mann hockte wie eine Krähe hinter seinem wuchtigen Schreibtisch. Sein von Grau durchwirktes Haar hatte er streng zurückgekämmt, und wie immer trug er einen schlichten schwarzen Anzug. Seine gewittergrauen Augen blitzten bösartig, als er aufschaute und ihre Blicke sich begegneten.
»Was verschafft mir das Vergnügen Ihres Besuchs, Constable Simmons?« Er erhob sich und trat auf Ben und seinen Begleiter zu. Callum hatte sich inzwischen mit einer gemurmelten Entschuldigung zurückgezogen. »Sagen Sie nicht, Siehaben den langen Weg aus der Stadt nur aufgrund der Hirngespinste dieses jungen Herrn hier auf sich genommen.«
Sofort spürte Ben, wie unbändige Wut in ihm hochkochte. »Hirngespinste?« Er wollte den alten Mann am Kragen packen, doch Simmons hielt ihn zurück.
»Schluss jetzt!«, herrschte er ihn an. »Das ist meine letzte Warnung, Makepeace! Reiß dich zusammen, oder du wartest draußen vor der Tür!«
Nur mit Mühe gelang es Ben, sich zu beruhigen. Und Ingram Woods herablassendes Lächeln machte es ihm nicht leichter. »Ich will zu May«, stieß er heiser hervor. »Wo ist sie?«
»Das habe ich Ihnen doch bereits erklärt, Mr Makepeace«, erwiderte der alte Mann überfreundlich. Dann wandte er sich an Simmons. »Sie müssen wissen, wir hatten für ein paar Tage einen Gast hier auf Emerald Downs. May, eine Nichte meiner Frau aus Oban auf Stewart Island. Sie war auf dem Weg nach Christchurch, um dort zu heiraten. Inzwischen ist sie aber weitergereist.«
»Wenn das wahr ist und du mich wirklich umsonst hierher …« Simmons bedachte Ben mit einem seltsamen Blick und ließ den Rest des Satzes unausgesprochen in der Luft hängen.
Ben schüttelte heftig den Kopf. »Glaub ihm kein Wort«, polterte er. »Der Mann lügt, wenn er den Mund aufmacht!«
»Ich muss doch sehr bitten, Mr Makepeace«, protestierte Callums Vater empört.
»Zeigen Sie uns das Zimmer!«, forderte Ben. Aufgeregt wandte er
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