Das Geheimnis der Maori-Frau (German Edition)
atmete sie scharf ein. »Aber das ist ja …« Sie schüttelte den Kopf. »Adrian! Lenny, das ist mein Dad! Aber ich versteh das nicht, er … O Gott, Lenny, er hat ein Messer!«
»Was?«, stieß Lenny überrascht hervor.
»Schhhh! Nicht so laut, er könnte dich hören!«
»Was hat das zu bedeuten?«, flüsterte Lenny jetzt wesentlich leiser. »Warum sollte dein Vater deine Mutter mit einem Messer bedrohen? Ich meine, die beiden waren doch immerhin mal miteinander verheiratet!«
Kim wusste nicht, wie sie Lenny das alles auf die Schnelle erklären sollte. Sie hatte ja selbst immer noch Mühe, es zu begreifen. Wie kam ihr Vater hierher? Woher hatte er gewusst, dass sie hier waren?
Mit einem Anflug von schlechtem Gewissen dachte sie an die zwei Briefe, die sie ihm am Anfang, als sie gerade nach Neuseeland gekommen waren, geschrieben hatte. Einer davon steckte noch immer im Seitenfach ihres Rucksacks, der andere war irgendwann verloren gegangen. Jetzt war sie ganz froh darüber, sie nie abgeschickt zu haben. Doch ihr Vaterhatte sie auch so gefunden. Und offenbar stimmte das, was sie nicht hatte wahrhaben wollen, wirklich: Er war ein Verbrecher – und er war gefährlich!
Plötzlich hatte Kim schreckliche Angst, dass er ihrer Mutter etwas antun würde. Wenn sie daran dachte, wie oft sie ihr Vorwürfe gemacht hatte, weil sie Will und sie von ihrem Dad weggeholt hatte …
»Wir müssen irgendwas tun!«, raunte sie und blickte Lenny Hilfe suchend an. »Er will sich bestimmt rächen, weil Mom ihn ins Gefängnis gebracht hat! Wenn wir ihr nicht helfen, tut er ihr ganz sicher etwas an!«
»Moment mal … Gefängnis? Dein Dad ist ein Knacki? Und was macht er dann hier? Ist er etwa ausgebrochen?«
»Ich weiß es doch auch nicht«, entgegnete Kim mit Tränen in den Augen. »Bitte, Lenny, wir müssen Hilfe holen!«
»Okay«, sagte er und atmete tief durch. »Du bleibst auf jeden Fall hier oben, so bist du wenigstens in Sicherheit.«
Energisch schüttelte sie den Kopf. »Nein! Ich lass dich nicht allein gehen, niemals! Und durch mein Zimmer können wir sowieso nicht. Meine Mom und mein … ich meine, meine Mom und Adrian sind in der Küche. Wenn wir die Treppe nehmen, wird er uns garantiert entdecken.«
»Hast du einen besseren Vorschlag? Ich …« Er verstummte, als sein Blick auf das kleine Giebelfenster fiel. »Warte mal, ich hab da eine Idee.« Lautlos eilte er zum Fenster hinüber, öffnete es und beugte sich über den Sims nach draußen. Dann drehte er sich wieder zu Kim um. »Kannst du gut klettern? Da ist eine Regenrinne, die vom Dach aus bis runter zum Boden reicht. Aber es sind gut drei Meter bis nach unten, und das Teil sieht ziemlich wacklig aus.«
Kim zögerte nur kurz – was blieb ihr schon für eine andere Wahl? Trotzdem klopfte ihr das Herz bis zum Hals, als sieihre Beine über den Fenstersims schwang. Lenny half ihr, so gut er konnte, doch am Ende war sie auf sich allein gestellt. Und die Rinne quietschte vernehmlich, als Kim sie mit ihrem ganzen Gewicht belastete.
Vorsichtig ließ sie sich ein Stück nach unten rutschen. Ihre Arme zitterten schon nach dem ersten Meter vor Anstrengung, und sie war sicher, dass sie es nicht bis ganz hinunter schaffen würde. Doch dann fanden ihre Füße Halt an einer Metallschelle, mit der die Rinne an der Wand befestigt war, und sie konnte einen Augenblick verschnaufen. Kims Muskeln lockerten sich wieder, und sie kletterte weiter.
Schließlich hatte sie es geschafft.
»Jetzt du«, raunte sie Lenny zu und fuhr sich nervös durchs Haar. »Bitte, beeil dich!«
Lenny war kaum einen halben Meter weit gekommen, da ließ ein hässliches Geräusch Kim das Blut in den Adern gefrieren. Eine der Befestigungsschellen war gerissen, was nun eine fatale Kettenreaktion in Gang setzte. Wie in Zeitlupe bog sich die Regenrinne, an die Lenny sich klammerte, nach hinten durch. Die übrigen Halter waren für eine solche Zusatzbelastung zu schwach; es gab einen Knall wie von einem Pistolenschuss, dann krachte das Rohr – mit Lenny daran – ungebremst zu Boden.
»Nein!«, schrie Kim entsetzt auf und schlug die Hand vor den Mund. »Lenny!«
Tränen strömten ihr über die Wangen, als sie sich neben ihm auf die Knie fallen ließ. Seine Augen waren geschlossen, und aus seinem Mundwinkel lief Blut. Erst jetzt bemerkte sie den Stein, auf dem er mit dem Hinterkopf aufgekommen sein musste. Er rührte sich nicht, und für einen schrecklichen Moment war Kim überzeugt, dass er den Aufprall
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