Das Geheimnis der Maori-Frau (German Edition)
irgendwie merkwürdig vor.
Aber sie war kaum in der Position, wählerisch zu sein.
5
Keine fünf Tage später konnte sich Shelly ein Leben ohne Hal auf der Farm gar nicht mehr vorstellen. Und dass es nicht nur ihr so ging, sondern auch ihren Kindern, war nicht zu übersehen. Hal tat ihnen allen einfach gut. Mit seinem staubtrockenen Humor und seiner raubeinigen, aber sehr hilfsbereiten Art lockerte die Atmosphäre, die in den vergangenen Tagen und Wochen immer angespannter geworden war, deutlich auf. Selbst zwischen Kim und ihr ging es inzwischen wieder deutlich unverkrampfter zu.
Natürlich ließ ihre Tochter sie noch immer spüren, wie wenig sie mit dem Umzug nach Neuseeland einverstanden war. Sie redete neuerdings häufig davon, dass sie zurück nach L. A. gehen und dort bei ihrem Vater wohnen wollte. Der Gedanke an Adrian bereitete Shelly noch immer eine Gänsehaut, und das würde wohl auch noch eine Weile so bleiben. Doch sie konnte Kim schließlich nicht verbieten, über ihren Vater zu reden, und sie wollte es auch gar nicht.
Wenn etwas Gras über die Sache gewachsen war, würde sie mit den Kindern über Adrian sprechen, aber jetzt noch nicht. Sie wollte ihnen erst noch ein wenig Zeit lassen, um sich in ihrer neuen Umgebung einzugewöhnen. So zumindest erklärte sie sich ihr Zögern selbst – doch wenn sie ehrlich mit sich war, dann wusste sie ganz einfach nicht, wie sie den beiden die Wahrheit über ihren Vater beibringen sollte. Auch wenn ihr klar war, dass sie nicht bis in alle Ewigkeit damit warten konnte.
Nun, immerhin war es Hal gelungen, Kim zu überreden, wieder regelmäßig zur Schule zu gehen. Shelly betrachtete das als Etappensieg. Trotzdem war für sie noch längst nicht alles eitel Sonnenschein. So sehr sie sich auch bemühte, siehatte es bisher nicht geschafft, weitere Arbeiter für die Renovierung der Farm zu gewinnen. Zurzeit waren Lenny und Hal die einzigen Helfer, und wenn kein Wunder geschah, würde es bis auf Weiteres auch so bleiben. Das lag aber, wie sie inzwischen einsehen musste, nicht nur an Geraldine Woods Einwirken – es hatte irgendwie auch mit ihr selbst zu tun. Aus irgendeinem Grund gelang es ihr einfach nicht, mit den Einwohnern von Aorakau Valley warm zu werden. Das fing schon damit an, dass sämtliche Gespräche verstummten, wenn sie den kleinen Einkaufsladen in der Stadt betrat. Auf dem Elternabend von Wills Klasse hatte niemand auch nur ein Wort mit ihr gesprochen, und die notwendigen Materialbestellungen für die Renovierung der Farm überließ sie lieber Emily. Als sie sich das letzte Mal selbst darum gekümmert hatte, war nicht nur die Hälfte der Lieferung falsch gewesen – sie hatte auch viel zu viel dafür bezahlt.
»Können Sie mir vielleicht sagen, was ich falsch mache?« Seufzend ließ sie sich neben Hal auf die Bank unter der großen Silberbuche sinken.
Er blickte von dem Holzblock auf, den er gerade mit einem Schnitzmesser bearbeitete. Mit seinem wachen Blick musterte er sie fragend. »Was genau meinen Sie?«
»Ach, ich weiß auch nicht.« Sie zuckte mit den Schultern. »Es ist irgendwie merkwürdig … Ich habe schon immer in der Großstadt gelebt. Niemals hätte ich für möglich gehalten, dass ich mich hier draußen wirklich wohlfühlen könnte, aber seltsamerweise ist das inzwischen tatsächlich der Fall.«
»Aber das ist doch schön«, entgegnete Hal. »Was stimmt dann nicht?«
»Nun, aus irgendeinem Grund gelingt es mir einfach nicht, Kontakte zu den Menschen hier zu knüpfen. Es ist, als würde ich gegen eine Mauer anrennen.« Hilfe suchend schaute sieden weißhaarigen Mann an. »Ich scheine immer alles falsch zu machen. Ich erinnere mich noch gut an den Tag unserer Anreise. Wir hatten eine Wagenpanne, und ein freundlicher Mann hat uns geholfen. Als ich ihm dann etwas für seine Hilfe geben wollte, wurde er plötzlich ganz abweisend. Aber ich habe es doch nur gut gemeint!« Sie zuckte mit den Achseln. »Haben Sie vielleicht einen Tipp für mich?«
Leise lachend schüttelte Hal den Kopf. »Ich fürchte, da fragen Sie den Falschen, Ma’am. Eines meiner größten Talente ist es, stets bei den Menschen in meiner Umgebung anzuecken. Aber wenn Sie meine Meinung trotzdem hören wollen …«
»Ja, bitte!«
Nachdenklich neigte er den Kopf zur Seite – eine Geste, die Shelly ein wenig an ihren verstorbenen Großvater Ben erinnerte. »Das Herz eines Neuseeländers«, sprach er dann weiter, »erobert man am leichtesten, indem man ihm zeigt,
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