Das Geheimnis der Maori-Frau (German Edition)
Probleme selbst zu regeln. Ich will keine Hilfe von außen – und schon gar nicht von ihm!«
»Verstehe.« Kim runzelte die Stirn. »Du willst also unser aller Zukunft hier im Tal aufs Spiel setzen, nur weil du zu stur bist, einen Schritt auf Josh zuzumachen, richtig?«
»Pass auf, was du sagst, junge Dame!«
»Ich denke gar nicht dran! Immerhin warst du es, die uns hierher gebracht hat. Ich wollte nie nach Neuseeland! Jetzt bin ich hier, und wir haben die Chance, doch noch etwas aus all dem zu machen, und du schlägst sie in den Wind. Echt, manchmal wünschte ich, Dad könnte hier sein. Er wusste immer, was zu tun ist!«
Kims Vorwürfe trafen Shelly bis ins Mark. »Ja«, erwiderte sie scharf. »Dein Vater wusste wirklich immer, was zu tun ist – deshalb sitzt er ja jetzt auch im Gefängnis, nicht wahr?«
Man konnte förmlich mit ansehen, wie Kims Gesichtsausdruck von Schock und Überraschung zu Wut und Unverständnis wechselte. Shelly hatte ihre unbeherrschten Worte schon bereut, kaum, dass sie ihr über die Lippen gekommen waren. Sie hatte das nicht sagen wollen, und am liebsten wollte sie das Geschehene rückgängig machen – doch das war leider nicht möglich.
»Kim, ich …«
Sie streckte die Hand nach ihrer Tochter aus, doch die wich zurück. »Lass mich bloß in Ruhe!«, fauchte sie. »Du bist ja so was von gemein!«
»Nur keine Aufregung!« Beruhigend blickte Hal die anderen an, die sogleich verstummten. Dann legte er Shelly eine Hand auf die Schulter. »Hören Sie, Shelly, ich verstehe ja, dass Sie aufgebracht sind, aber … finden Sie nicht, dass die Woods Ihnen etwas schulden? Also, ich an Ihrer Stelle würde das so sehen. Nach all dem Ärger, den diese Bande Ihnen bereitet hat …«
»Sie meinen …« Shelly sah ihn an und dachte kurz über seine Worte nach. Vielleicht hatte Hal ja recht, und sie sollte die Tiere einfach annehmen. So gesehen waren die Woods ihr wirklich etwas schuldig. Vielleicht sollte sie versuchen, Joshs Geschenk nicht als Almosen zu betrachten, sondern vielmehr als Wiedergutmachung. Schließlich nickte sie. »Okay, einverstanden, wir nehmen die Tiere. Aber Josh soll nicht glauben, dass ich ihm deshalb zu ewigem Dank verpflichtet bin!«
Als das Klingeln der Pausenglocke durch den Klassenraum der Secondary School schallte, gab es für die Schüler der zweiten Jahrgangsstufe kein Halten mehr. Während ihre Geschichtslehrerin, die vorne an der Tafel stand, noch versuchte, ihren begonnenen Satz zu beenden, stürmten die Ersten bereits hinaus auf den Korridor.
Kimberly, die allein an einem Tisch in der hintersten Reihe saß, hatte es nicht so eilig. Gemächlich packte sie ihre Sachen in den großen Armeerucksack, den sie ständig mit sich herumschleppte. Darin befanden sich, neben zwei Briefen an ihren Vater, die sie aber bisher nicht abgeschickt hatte, und dem Kram für die Schule, auch immer ein paar Möhren oder Äpfel für Firefly, sodass sie, wenn sie nach Hause zurückkehrte, gleich zur Koppel gehen konnte.
Es erschien Kim immer noch ganz unwirklich, dass das Fohlen jetzt tatsächlich ihr gehörte. Manchmal wachte sie mitten in der Nacht auf und fürchtete, das alles wäre nur ein schöner Traum. Dann schlich sie sich barfuß aus dem Haus zum Stall hinüber, nur um sich davon zu überzeugen, dass Firefly noch da war.
Firefly … Seinetwegen konnte sie es sich inzwischen gar nicht mehr vorstellen, eines Tages wieder nach Kalifornienzurückzugehen. Damit hätte sie selbst nie gerechnet. Natürlich vermisste sie ihre alten Freunde in L. A. noch immer, doch die ließen inzwischen viel seltener von sich hören. Mittlerweile dauerte es manchmal Tage, bis sie die E-Mails und SMS beantworteten, die Kim ihnen schickte.
Aus den Augen, aus dem Sinn …
Wirkliche Freunde – also welche, mit denen man komplett auf einer Wellenlänge lag und mit denen man über alles reden konnte – hatte sie in Aorakau Valley bisher nicht gefunden. Klar, es gab ein paar Leute, mit denen sie in den Pausen auf dem Schulhof abhing, vornehmlich die Kids, die es irgendwie cool fanden, sich mit jemandem zu zeigen, der anders war. Und Kim fiel mit ihren schwarz gefärbten Haaren und den dunkel geschminkten Augen und Lippen nun einmal auf. Daran änderte auch die brave Schuluniform nichts, deren ursprünglich knielangen Karorock sie auf eigene Faust um ein paar Zentimeter gekürzt hatte. Die weiße Bluse, die sie dazu trug, war locker eine Nummer zu klein, sodass sie richtig schön eng saß.
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