Das Geheimnis der Maori-Frau (German Edition)
dessen Schokoglasur bereits halb geschmolzen war. Dahinter saß ein älterer Mann in Polizeiuniform.
»Chief Hawthorne«, sagte der Constable. »Das ist Kimberlys Mutter.«
Als Kim ihre Mutter erblickte, sprang sie sofort auf, lief auf sie zu und fiel ihr um den Hals. »Mom, Gott sei Dank bist du da!«
Shelly wartete, bis ihre Tochter sich ein wenig beruhigt hatte, dann machte sie sich sanft von ihr los und wandte sich dem Mann zu, der auf seinem Stuhl sitzen geblieben war und auch jetzt keine Anstalten machte, aufzustehen.
»Ich bin Shelly Makepeace, und Sie erklären mir jetzt bitte, was das hier zu bedeuten hat, Mister …«
»Hawthorne, Jackson Hawthorne«, erklärte er seelenruhig und mit einem leicht herablassenden Lächeln auf den Lippen. »Ich bin der Polizeichef von Aorakau Valley. Ich habe Ihre Tochter hierher aufs Revier bringen lassen, weil der dringende Tatverdacht des Ladendiebstahls besteht. Ihre Tochter soll ein Paar Ohrringe im Mulligan’s eingesteckt haben, ohne dafür zu bezahlen, Ma’am. Können Sie dazu irgendwelche Angaben machen?«
Shelly runzelte die Stirn. Es ging also tatsächlich um diese verflixten Ohrringe!
»Ja, allerdings«, erwiderte sie. »Und zwar, dass Mr Mulligan uns eigentlich zugesagt hatte, die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen!«
In einer Geste des Bedauerns zuckte Hawthorne mit den Schultern. »Der Diebstahl ist uns zur Anzeige gebracht worden, und Sie haben sicher Verständnis dafür, dass wir der Sache nun nachgehen müssen.«
»Selbstverständlich«, erwiderte Shelly alles andere als begeistert. Sie fragte sich, was den Inhaber des Mulligan’s dazu bewogen haben mochte, die Sache nun doch zur Anzeige zu bringen. Doch das war im Grunde unwichtig – jetzt galt es erst einmal, Kim aus dieser unsäglichen Lage zu befreien. »Wofür ich allerdings beim besten Willen kein Verständnis aufbringen kann, ist, dass Sie meine Tochter wegen einer solchen Lappalie wie eine Schwerverbrecherin behandeln! Finden Sie es nicht ein wenig übertrieben, Kim auf dem Heimweg von der Schule abzufangen und sie gleich hierher zum Verhör zu schleppen? Ich lebe zwar noch nicht lange in Neuseeland, Chief, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das hierzulande die gängige Methode im Umgang mit mutmaßlichen jugendlichen Ladendieben sein soll!«
»Von Abfangen und Schleppen kann nicht die Rede sein«, protestierte Hawthorne. »Ich gebe Ihrer Tochter lediglich die Möglichkeit, zu den Vorwürfen, die gegen sie erhoben werden, Stellung zu nehmen. Aber vielleicht haben Sie ja recht und das ist gar nicht mehr nötig. Ich habe nämlich Erkundigungen über Kimberly bei den kalifornischen Kollegen eingeholt. Und dabei erfahren, dass sie schon früher wegen ähnlicher Delikte zu Sozialstunden verurteilt wurde.«
Aus zusammengekniffenen Augen blickte Shelly ihn an. »Wollen Sie mir etwa drohen?«
»Selbstverständlich nicht!« Er begegnete ihrem Blick fest.
»Alles, was ich gesagt habe, möchte ich lediglich als freundschaftlich gemeinten Ratschlag verstanden wissen. Das gilt selbstverständlich auch für den Hinweis, dass unsere Richter im Allgemeinen nicht gut auf unkooperative Wiederholungstäter zu sprechen sind.«
Shelly runzelte die Stirn. »Dann verstehen auch Sie mich bitte richtig: Generell habe ich nichts dagegen, dass sie meine Tochter befragen – aber ich muss Sie doch bitten, dies zukünftig nur nach vorheriger Rücksprache mit mir zu tun. Sollte so etwas noch einmal vorkommen, sehe ich mich gezwungen, eine Beschwerde über Ihr fragwürdiges Verhalten bei Ihrer vorgesetzten Behörde einzureichen. Haben wir uns verstanden?«
Das herablassende Lächeln war dem Polizeichef mittlerweile vergangen. Mit offenem Mund starrte er Shelly an. Er war es offenbar nicht gewöhnt, dass jemand ihm gegenüber einen solchen Ton anschlug – erst recht nicht eine Frau. Doch auf seinen männlichen Stolz konnte Shelly keine Rücksicht nehmen. Es ging hier um ihre Tochter, und dieser Mann hatte sich ganz eindeutig zu viel herausgenommen.
»Und da Kim den Diebstahl der Ohrringe bereits zugegeben hat, nehme ich an, dass ich meine Tochter jetzt mit nach Hause nehmen kann«, wandte die sich fragend an Chief Hawthorne. »Sollten trotzdem noch offene Fragen verbleiben, steht sie Ihnen natürlich gern nach kurzer telefonischer Voranmeldung bei uns auf der Farm zur Verfügung.«
Sie nahm ihre Tochter an der Hand und verließ dann, ohne auf eine Antwort des Polizeichefs zu warten, den Raum.
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