Das Geheimnis der Maurin
Liebkosung. Auf einmal ruckte sein Kopf hoch, und Chalida bemerkte, wie er nervös mit den Ohren spielte, doch sie konnte nichts Besonderes feststellen. Beruhigend strich sie ihm über den Hals und fand es erstaunlich, wie scharfsinnig er in seinem inzwischen doch schon recht fortgeschrittenen Alter noch war. Chalida konnte sich ohnehin nicht vorstellen, dass er eines Tages nicht mehr da sein würde, und war ihrem Vater unendlich dankbar, dass er ihr Barbakan inzwischen ganz überlassen hatte, während er einen fünfjährigen Nachkommen Barbakans ritt. Plötzlich schnaubte der Hengst erneut, und als Chalida jetzt aus dem Verschlag lugte, entdeckte sie im faden Schein des Mondlichts Aaron. Sofort klopfte ihr Herz wie wild.
»Pst«, machte sie zu ihm und schlängelte sich aus dem Verschlag heraus.
»Was machst du denn hier?« Mit einem aufstrahlenden Lächeln eilte er zu ihr und strich nach einem kurzen Zögern über ihr unverschleiertes Haar. »Wie sehr ich mir gewünscht habe, dich hier zu finden!«
Unwillkürlich fühlte Chalida der Bewegung seiner Hand nach und musste an sich halten, der Hand nicht mit dem Kopf zu folgen – so sehr vermisste sie diese, kaum, dass er sie wieder von ihr genommen hatte.
»Ich …« Seine Nähe machte sie so nervös, dass sie schlucken musste. »Ich … konnte nicht schlafen …«
Aaron schob sie zurück in den Verschlag und schlupfte direkt hinterher. Barbakan begrüßte ihn mit einem harten Kopfstoß.
»Du warst schon mal weniger ruppig«, beschwerte sich Aaron, lachte dabei aber gutmütig und streichelte Barbakan über die Nüstern. Dann sah er wieder zu Chalida, ihre Blicke verfingen sich ineinander, und Chalida hatte das Gefühl, dass sich alles um sie herum in einem nebligen Nichts auflöste – alles bis auf Aaron. Aaron … Aarons Nähe … so oft hatte sie sie erlebt, und doch war sie jetzt auf eine neue, so aufregende Art anders, dass ihr die Knie weich wurden und ihr Herz so heftig hämmerte, dass sie es zu hören meinte. Wie hatte nur ein einziger Kuss all ihre Gefühle für ihn so verändern können? Oder waren sie vorher schon da gewesen, und sie hatte sie nur nie bemerkt? Aaron strahlte sie mit einem verschmitzten Lächeln an, das Chalidas Sehnsucht nach einer neuerlichen Berührung von ihm noch verstärkte. Unbewusst lehnte sie sich in seine Richtung, und dies war Aaron Aufforderung genug: Sofort schloss er sie in die Arme, und als Chalida die Umarmung ohne Zögern erwiderte, wagte er auch, sie zu küssen. Schnell nahmen seine Küsse an Leidenschaft zu und trieben Chalida in immer neue Gefühlsstürme – bis Aaron sie wieder losließ, und dies so plötzlich und unvermittelt, dass Chalida fast das Gleichgewicht verlor. Verstört sah sie zu ihm auf, registrierte, wie schnell sein Atem ging, und stellte verwundert fest, dass auch sie mit einem Mal völlig atemlos war. Aaron strich sich über das Kinn und blies Luft zu seiner Stirn hoch, als müsse er sie kühlen. »Ich … es tut mir leid, Chalida, ich weiß, ich sollte dich nicht so küssen, aber ich … Oh Gott, wenn du wüsstest, wie lange ich dich schon liebe, wie lange ich mich schon nach dir sehne!«
Chalida, für die ihre Gefühle noch weit neuer waren als für ihn die seinen, konnte ihn nur immer weiter ansehen.
»Warum nur?«, fragte sie ihn. »Warum habe ich nie gemerkt, was da zwischen uns ist? Weder, was du für mich fühlst, noch, was ich …« Sie wagte nicht weiterzusprechen, hob aber die Hand und strich ihm mit zitternden Fingern über die zarten Wangen. Aaron schloss sie erneut in die Arme, presste sie fest an sich und raunte kaum hörbar in ihr Haar: »Es war so fürchterlich, den ganzen Abend mit Musheer an einem Tisch sitzen zu müssen. Ich dachte, er und Abdu müssten mir doch ansehen, dass ich … dass wir … Aber sie machten nur ihre üblichen Späße, redeten von den Aufständen und waren ausnahmsweise sogar einmal richtig nett zu mir, vor allem Musheer; ich glaube, er hat noch nie so viel mit mir geredet wie heute Abend!«
Sie hielten sich weiter umarmt, und obwohl Chalida spürte, dass Aaron dachte, was auch sie dachte, wagte sie nicht, es auszusprechen. Es war noch zu früh, diese Frage zu stellen, aber sie wusste, dass ihnen nicht viel Zeit blieb, sich damit auseinanderzusetzen – denn aus der Tatsache, dass ihre Mutter gewollt hatte, dass sie Musheer begrüßte, konnte sie nur schließen, dass diese weiter entschlossen war, sie mit ihm zu verheiraten, wozu sie nach
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