Das Geheimnis der Maurin
Mutter, ich …« Sie fuhr sich mit der Hand über die Brust, grub die Finger in den Stoff ihrer Tunika. Mit hellem Entsetzen starrte sie ihre Mutter an, bis erneut Nacht über ihr Bewusstsein sank.
Aus Sorge um Chalida brachte Zahra kein Auge zu. Als Chalida Schüttelfrost bekam, reichte ihr eine der anderen Gefangenen eine Decke und nickte ihr mitfühlend zu. »Als meine Tochter vor einem halbem Jahr mit ihrem Mann nach Konstantinopel ausgewandert ist, habe ich über Wochen nur noch weinen können, aber inzwischen danke ich dem Ewigen täglich für die Gnade, dass zumindest sie in Sicherheit ist!«
Zahra wünschte sich nichts weiter, als dass sie etwas Ähnliches hätte sagen können, und flehte den Allmächtigen die ganze Nacht über an, nicht ihre Tochter dafür leiden zu lassen, dass sie nicht ihr Heil in der Flucht gesucht, sondern die Taufe angenommen hatten. »Denn nicht sie hat das entschieden, sondern nur ich allein!«
Gegen Morgen kroch durch ein schmales, vergittertes Oberlicht ein Hauch Sonnenlicht zu ihnen herein und trieb das Leben zurück in die verängstigten Leiber der Frauen. Sie klopften das Stroh von ihren Kleidern, tranken Wasser, die Muslimas unter ihnen versuchten, sich zumindest die Hände, die Füße und das Gesicht zu waschen, um ihr Morgengebet verrichten zu können. Danach rückten ein paar von ihnen näher zu Zahra und wollten wissen, was man ihr vorwarf. Zahra erzählte ihnen das Wenige, was sie wusste, und erfuhr, dass die meisten von ihnen der Ketzerei angeklagt waren. Insgesamt waren sie vier Jüdinnen, eine vor zwanzig Jahren zum Islam konvertierte Christin und drei Muslimas; alle waren zwangsgetauft. Die anderen vier Frauen saßen wegen Hehlerei, Diebstahls und der Nötigung eines Bordellbesuchers ein.
Erst gegen Mittag brachte der Wärter ihnen Brot und einen Kübel mit frischem Trinkwasser. Zahra half ihrer Tochter, sich zumindest eine Handbreit weit aufzusetzen, und reichte ihr den Kanten Brot, doch Chalida wollte nichts essen. »Nein, ich … ich muss erst den Fes finden, den Fes, den Fes, Mutter!«
»Beruhige dich, Kind, du hast schlecht geträumt!«
»Nein, der Fes, der Fes ist daran schuld!«
Voller Sorge fühlte Zahra Chalidas Stirn, aber sie hatte kein Fieber, sondern wirkte gar unterkühlt. Chalidas Kopf sank zurück, ihr Blick verlor sich in der Ferne. »Liebe … lieben bis in den Tod …«, murmelte sie noch, dann sank sie in einen unruhigen Schlaf. Zahra zog sie wieder auf ihren Schoß, wiegte sie in den Armen und wagte nicht sich vorzustellen, welche Folgen es haben würde, wenn Chalida auch vor dem Inquisitor so wirres Zeug redete. Jaime, Jaime, bitte, du musst sie hier rausholen! Du musst!, flehte sie unablässig. Und in der Tat war es einzig die Hoffnung, dass er ihre Tochter freibekommen würde, die sie davor bewahrte, vor Angst um Chalida den Verstand zu verlieren.
Über eine Woche saßen Zahra und Chalida nun schon im Kerker, und Zahra hatte sie schon mehrmals gefragt, was es mit dem Fes auf sich hatte, von dem sie in ihren wirren Momenten gesprochen hatte, aber nachdem Chalida das letzte Mal auf ihre Frage hin in haltloses Schluchzen ausgebrochen war, hatte sie keinen weiteren Versuch gewagt. Die meiste Zeit schlief Chalida und schien selbst in ihren wachen Momenten wie in einem Nebel gefangen, weswegen Zahras Sorge um sie weiterhin groß war. Überdies hatte sie noch immer nichts von Jaime gehört, und das, obwohl sie ihm mittlerweile über beide Wächter eine Nachricht hatte zukommen lassen – was sie zwei ihrer Ringe gekostet hatte. Aber um Chalida freizubekommen, hätte sie, ohne zu zögern, auch noch ihre beiden Arme dazugegeben – wenn es denn nur geholfen hätte!
Als sich die zweite Woche ihrem Ende zuneigte, platzte ein hinkender Büttel in den Kerker und herrschte Zahra an, mit ihrer Tochter zum Verhör zu kommen. Eilig sprang Zahra auf die Füße, flehte ihn an, nur sie mitzunehmen, und haspelte weiter, dass ihre Tochter ohnehin nur wegen eines bedauerlichen Missverständnisses hier sei. Mit zusammengekniffenen Augen kam der Büttel näher, maß sie mit stechendem Blick, riss Chalida ohne Vorwarnung an den Haaren hoch und zerrte sie wie einen ungehorsamen Köter hinter sich her. »Und wenn ihr noch einmal die Klappe aufreißt, stopfte ich euch eure verdammten Maurenmäuler, bis ihr noch nicht einmal mehr eure Namen wisst!«
Hastig stolperte Zahra ihm nach, entwand ihm unter jämmerlichen Klagelauten ihre Tochter und beschwor
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